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Dieser Universal-Blog ist aus einer Seite für Geschichte, Politik und Realienkunde hervorgegangen und wurde in Richtung Humanwissenschaften weiterentwickelt.
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Sonntag, 19. Oktober 2025

STEPHEN JAY GOULD

14.09.2025 - 21.09.2025 - 19.10.2025

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/2/21/Stephen_Jay_Gould_2015,_portrait_(unknown_date).jpg
Stephen Jay Gould


* 10.09.1941 in New York City (Queens)
+ 20.05.2002 in New York City

Steven Jay Gould war ein US-amerikanischer Paläontologe, Evolutionsbiologe, Geologe und Wissenschaftshistoriker.
Gould lehrte v. a. an der Harvard-Universität und schrieb außerdem populärwissenschaftliche Bücher und Essays. Manche verglichen seinen Stil sogar mit Montaigne.
Anders als manch ein Biologe hatte Gould die Angewohnheit, sein Fach nichts rechts, sondern links zu "lesen". So hinterfragte er traditionelle Begriffe wie "Intelligenz" und "IQ" und stand dem Darwinismus und Sozialdarwinismus kritisch gegenüber. So versuchte er zu zeigen, dass in der Evolution nicht immer das Stärkere bzw. Angepasstere ("fittest") gesiegt und somit die Evolution vorangetrieben habe, sondern dass es auch andere Optionen gab. Beispielsweise war nach Gould die Evolution nicht nur graduell, sondern blieb manchmal eine Zeit lang auf einem Punkt stehen und verweilte (stasis).


LEBEN

Gould wurde in Queens in New York City geboren. Sein Vater Leonard war ein Gerichtsschreiber (Stenograph) und diente im Zweiten Weltkrieg in der US Navy.
Seine Mutter Eleanor war Künstlerin. Ihre Eltern waren jüdisch-europäisch Einwanderer und lebten im Manhattener Garment District, in dem Stoffe und Kleidung hergestellt wurden.

Stephen und sein jüngerer Bruder Peter wuchsen als Mittelschichtskinder in der Bayside in Queens auf. Schon als Fünfjähriger besuchte Gould mit seinem Vater das American Museum of Natural History und bestaunte Skelette von Dinosauriern.

Gould besuchte die Jamaica High School und wuchs säkular-jüdisch auf.
Schon früh war er auch politisch links aktiv. Sein Vater galt als Marxist. Er selber wollte weniger dogmatisch vorgehen und las "The Power Elite" von C. Wright Mills und die Schriften von Noam Chomsky.

Nach der Schulzeit ging Gould auf das Antioch College in Yellow Springs (Ohio) und studierte dort Paläontologie und Evolutionsbiologie. Dort kämpfte er aktiv gegen die Rassentrennung in Restaurants und diversen Einrichtungen. Später protestierte er auch gegen den Vietnamkrieg.
Gould sah die Gefahr, dass Naturwissenschaften wie die Biologie für Unterdrückungszwecke eingesetzt werden könnten und Pseudobegründungen für Rassismus und Sexismus liefern könnten.
An der Columbia University wurde Gould 1967 promoviert. Es folgten Karrierestufen als Assistant Professor, als Associate Professor (1971) und als Professor für Geologie (1973) an der Harvard Universität.
1975 erhielt Gould den Charles Schuchert Award.
1981 war er MacArthur Fellow.
1983 wurde Gould Mitglied der American Acadamy of Arts and Sciences.
1989 wurde Gould Mitglied der National Academy of Sciences.
1989 erhielt er die Sue-Tyler-Friedman-Medaille. 
1987 war er Präsident der Paleontological Society.
1990 wurde Gould zum Ehrenmitglied (Honorary Fellow) der Royal Society of Edinburgh gewählt.
2002 erhielt Gould die Paleontological-Society-Medaille.
2008 erhielt er posthum die Darwin-Wallace-Medaille der Linnean Society of London.

Typisch für Gould war aber, dass er trotz seiner ernsten Beschäftigung mit Wissenschaft und Politik immer wieder auch lustige Sachen machte. In seinen wissenschaftlichen Aufsätzen, die er für Magazine wie "Natural History" schrieb, streute er immer wieder auch seine Hobbys und private Gedanken ein. Besonders der Baseball hatte es ihm seit seiner Jugend angetan und er war ein lebenslanger Fan der New York Yankees.
Ein weiteres Hobby von Gould waren Science-Fiction-Filme, denen er aber oft Mängel in der Handlung und in der naturwissenschaftlichen Unterfütterung vorwarf.
Außerdem sang Gould Bariton in der Boston Cecilia und er war ein großer Bewunderer von Gilbert-und-Sullivan-Opern. Das waren Opern aus der Zeit vor 1900 von W(illiam) S(chwenck) Gilbert und Arthur Sullivan.
Weitere Hobbys waren Architektur, das Sammeln alter Bücher, das Lernen von Sprachen, Stadtspaziergänge und Reisen. Gould sprach neben Englisch Französisch, Italienisch, Deutsch und Russisch.


ERKRANKUNG

Gould erkrankte im Juli 1982 an einem Mesotheliom.
In seinem Essay "The Median isn't the Message" und in seinem Buch "Illusion Fortschritt" beschrieb Gould seine Reaktion auf die Aussage der Ärzte, zum Diagnosezeitpunkt betrage die restliche Lebenserwartung im Median nur 8 Monate. Wegen der frühen Diagnose der Erkrankung und weiteren günstigen Variablen hatte Gould gute Chancen, zu jener Hälfte der Erkrankten zu gehören, die länger als 8 Monate überlebten.
Schließlich wurde die Krankheit durch neue Heilmethoden sogar besiegt.
Allerdings starb Gould am 20.05.2002 an Lungenkrebs.


WIRKEN UND WERK

Gould vertritt in seinen Veröffentlichungen einen makroevolutionären Ansatz.
Mit Niles Eldredge hat er die Theorie des unterbrochenen Gleichgewichts (punctuated equilibrium; Punktualismus) entwickelt.
Die Theorie geht davon aus, dass die Evolution nicht mit konstanter Geschwindigkeit in stetigen kleinen Schritten erfolgt (Gradualismus), sondern als Wechsel zwischen kurzen Phasen mit schneller Veränderung und langen Phasen ohne (oder mit wenig) Veränderung (stasis).
Gould vertritt mit Niles Eldredge die Theorie des "unterbrochenen Gleichgewichts" (punctuated equilibrium; Punktualismus). 
Heute ist herrschende Meinung, dass Evolution schon in unterschiedlichen (variablen) Geschwindigkeiten (Sg. oder Pl.) erfolgt, aber nicht so extrem wie in der Theorie des Punktualismus beschrieben.
(Goulds Ansatz wurde bisweilen gegen seinen Willen in Richtung der "Theorie des Hopeful Monsters" von Richard Goldschmidt geschoben.)
Für Gould wird Evolution auch sehr stark durch Zufälle bestimmt. In diesem Sinne revidiert er die Forschungsergebnisse des Burgess-Schiefer über die kambrische Explosion (Kontingenztheorie der Evolution).

Nach Gould können Organismen auch ohne Wandel mit großen Umweltveränderungen fertig werden.
Publizistisch unterstrich er das in Stephen J. Gould/Richard C. Lewontin (1979) und Stephen J. Gould/Elisabeth Vrba (1982).

Gould verfolgt mit seinem Punktualismus durchaus auch einen politischen Ansatz:
Er sieht den Begriff der natürlichen Selektion als durchaus problematisch an.
Denn dieser Begriff lässt sich leicht für rechte Ideologien instrumentalisieren.

In den Aufsätzen "The Spandrels of San Marco and the Panglossian Paradigm. A Critique of the Adaptionist Programme" (1979) mit Richard C. Lewontin und "Exaptation. A missing Term in the Science of Form" (1982) mit Elisabeth Vrba vertritt Gould die These, dass Eigenschaften eines Organismus auch ohne direkten Funktionsbezug überlebt haben können (vgl. Wikipedia).
Für Gould kann die natürliche Selektion auch eine funktionelle Negativauswahl hervorbringen und nicht (oder nicht nur) eine Positivauswahl bestimmter Eigenschaften in adaptionistischer Manier.
Im ersten Aufsatz greifen Gould und Lewontin die Idee der übertriebenen (?) Anpassung an ("adaptionist program"). Bis heute wird über das Ausmaß der Adaption von Organismen in ihren Populationen gestritten.
Gould und Lewontin wehren sich gegen eine vermeintlich überzogene Einzelbetrachtung ("Atomisierung") von Merkmalen, die einzeln der Selektion unterliegen und adaptiert werden. Zahlreiche Merkmale seien nicht-selektierte Nebenprodukte anderer, adaptierter Merkmale.
Der zweite genannte Aufsatz betont im Titel das Konzept der Exaptation. Danach wird ein Merkmal zunächst für eine andere Funktion selektiert und adaptiert als die, die (dann) als die dominierende gesehen wird.


KRITIK

Stephen Jay Goulds Thesen wurden inhaltlicher Kritik unterzogen. Manche störte auch sein Auftreten mit linken Symbolen und "Säulenheiligen" in seinem Dienstzimmer.

Ernst Mayr kritisierte Goulds Angriff auf die evolutionäre Anpassung. Auch er gab aber zu, dass Anpassung zu keinem perfekt optimierten Prozess führe, weil "stochastische Prozesse und andere Constraints" und Peiotropie eine perfekte Adaption verhinderten.
Schon Darwin hat die Möglichkeit einer perfekten Anpassung verneint.
Pleiotropie (πλείων/pleíōn - mehr; τροπή/tropē - Wende, Veränderung) meint in der Genetik die Ausprägung unterschiedlicher phänotypischer Merkmale durch ein einzelnes Gen.

Daniel Dennett kritisiert, dass Gould et al. zwar den Darwinismus in einigen Punkten kritisiert hätten, dass das Gesamtgebäude des Darwinismus aber nie erschüttert worden sei. Dennett stört sich besonders an den Thesen in Goulds Aufsatz "The Spandrels of San Marco and the Panglossian Paradigm" von 1979.

 

Sonntag, 21. September 2025

CHAD HAAG

18.09.2025


Post from Chad A Haag Philosophy Channel
Chad Haag


Chad A. Haag ist ein US-amerikanischer Philosoph.

-

Haag beschäftigt sich mit europäischer Philosophie in Antike, Mittelalter und Neuzeit und mit außereuropäischer Philosophie.
Schwerpunktthemen sind z. B. die Philosophie des Geistes von Hegel, die Hermeneutik, die Peak-Oil-Philosophie, die Tiefen-Ökologie (Deep Ecology) von Pentti Linkola  und die radikale Technikkritik von Denkern wie John Zerzan und Ted Kaczynski.
Die tödliche Gewalt des als "UNAbomber" bekannten Ted Kaczynski lehnt Haag aber trotz Sympathien für dessen Gedanken ab.

Haag hat an der University of Northern Colorado zuerst Philosophie im Hauptfach studiert.
Dann erwarb er an der University of Colorado Boulder den Master in Vergleichender Literatur.

Chad Haag hat zur Veröffentlichung seiner philosophischen Ansichten einen Youtube-Kanal eröffnet, der aber später gesperrt wurde. Dabei sind seinen Aussagen zufolge über 700 Videos verlorengegangen.
In einigen Gesprächen und Vorträgen ist er aber noch auf Youtube zu sehen.

Chad Haag ist mit Minu Haag verheiratet. Das Paar lebt 2025 in Uchakkada in Kerala in Indien.


VERÖFFENTLICHUNGEN

A Critique of Transcendental Memology: A Peak Oil Philosophy of Truth; 2018

The Philosophy of Ted Kaczynski: Why the Unabomber was Right about Modern Technology; 2019

The Hermeneutics of Ecological Limitation: Ecophilosophy Beyond Environmentalism; 2019

Hermeneutical Death: The Technological Destruction of Subjectivity; 2020

The Later Philosophy of Pentti Linkola; 2020

Social Justice Madness; 2021


Sonntag, 14. September 2025

MEINUNG/KOMMENTAR: DIE WELTWEITE SICHERHEITSLAGE IM JAHRE 2025

14.09.2025


Geopolitik (pixabay.com; Vilius Kukanauskas)


In den deutschen Medien wird viel über die militärische Lage in Osteuropa gesprochen.
Gleichzeitig berichtet man über den immer weiter eskalierenden Krieg um Israel.

Über die permanenten Kriege in Teilen Afrikas wird wenig gesprochen.
Auch nicht über die aus unserer Sicht riesengroße Kriegsgefahr in Ostasien.

Es ist Zeit, das einmal kurz zu kommentieren.
Zuerst einmal zum Ukrainekrieg...


0. VON GROẞEN UND KLEINEN KRIEGEN

Nach dem Kalten Krieg sagten viele, die Zeit der Großen Kriege sei vorbei, jetzt sei die Zeit der kleineren Militäroperationen, quasi wie "Weltpolizeioperationen", wenn man an das Werk "Empire" von Hardt/Negri denkt. (Wenn man die Weltherrschaftsstruktur als einziges Empire sieht, dann sind Kriege Teil der Innenpolitik und damit Polizeiaktionen.)

Das war aber nur vorübergehend so und auch nur deshalb, weil die USA die einzige verbliebene Weltmacht waren.
Es deutet sich seit einigen Jahren an, dass wieder eine Zeit der Großen Kriege heranbricht.

Als Hauptakteure sehen wir die USA, Russland und China. Als Hauptkonfliktlinie sehen wir die (gesamte) Küste Ostasiens.
Denkbar ist aber auch eine große Explosion um Indien herum, also Südasien, oder eine weitere Eskalation des Krieges in Osteuropa.


I. DER UKRAINEKRIEG IN OSTEUROPA

Bezüglich des Ukrainekriegs wird nicht nur die Grausamkeit des Krieges angesprochen, sondern auch immer wieder die Schuldfrage kontrovers diskutiert.
In den Medien wird meist die Haupt- oder Alleinschuld bei Russland gesucht.
Im Internet gibt es nicht wenige, die die Schuld bei Washington und Kiew suchen.

Aus unserer Sicht haben Machtpolitiker in den USA UND Russland den Konflikt schon seit Jahren eskaliert. Dabei ist das nicht die gesamte Machtelite oder gar das gesamte Volk, sondern bestimmte Gruppen von Kriegstreibern in den jeweiligen Ländern.


Die US-Seite

In den USA sind die Vorantreiber einer imperialen Politik v. a. die Neocons, einige traditionalle Konservative und Geostrategen wie der 2017 verstorbene Zbigniew Brzezinski.

Das Ziel der US-Außenpolitik - und aus friedenspolitischer Sicht ihr Fehler - war, dass man nach dem Ende des Kalten Krieges 1990/91 nicht Ruhe gab, sondern Russland weiter provozieren und damit in Schach halten wollte.

Zbigniew Brzezinski hat das in aller Deutlichkeit in seinen Büchern, Artikeln und in Interviews gesagt:

In "The Grand Chessboard" (1997) hat Bzezinski schon vor fast 30 Jahren geschrieben, dass die USA zur Wahrung ihrer führenden geopolitischen Stellung nach dem Kalten Krieg Russland überall um das Land herum reizen müssten. Eine besondere Rolle komme dabei der Ukraine zu, über die Russland seine Kontrolle verlieren müsse.
Brzezinski sah Eurasien als geopolitisches Schachbrett (Buchtitel!), auf dem die kommenden Machtkämpfe ausgetragen würden. Auf diesem sah er Russland mehr als Gegner als China (was viele Strategen in den USA anders sehen).
Europa und Japan sah er politisch-millitärisch nur als semi-autonom und als von den USA abhängig an. Südamerika und Afrika widmete er nur wenig Beachtung.

Brzezinski war ein Hardliner, eine Art demokratisches Pendant zum Republikaner Kissinger.
Biographisch hatte er subjektiv Gründe dafür: Sein Vater war polnischer Diplomat und wusste, wozu die frühe Sowjetunion gegenüber Polen fähig war. Daher kam sein Russland-Hass.

Man kann durchaus sagen, das Brzezinski die US-Außenpolitik für polnische Zwecke umfunktionieren wollte, so wie es die Neocons für Israel tun.
Dies brachte ihm besonders die Kritik der isolationistische Rechte in den USA ein, nämlich dass US-Blut für ein anderes Land geopfert werde.
Auf Seiten der Linken hat dies Michael Moore benannt.

Brzezinski hat schon im Kalten Krieg die Idee propagiert (wenn auch nicht er alleine), um die Sowjetunion herum einen islamischen "Green Belt" zu legen (und das Land im Westen durch Solidarnocs im katholischen Polen zu provozieren), um es zu schwächen.

Diese Strategie hat im Sinne eines Zusammenbruchs der Sowjetunion zwar funktioniert, aber über eine Million Menschenleben gekostet, riesige Gebiete verwüstet und den USA den antikommunistischen Zauberlehring beschehrt, der danach in Form von Bin Laden und anderen gegen seinen Meister USA selbst ziehen und schließlich das World Trade Center zum Einsturz bringen sollte.
Schon als die Sowjets sich aus Afghanistan zurückzogen, skandierten einige Rebellen, jetzt werde man auch die USA angreifen.

Der späte Brzezinski hat die Fehler seiner Politik, zumindest den "Imperial Overstretch", wenigstens etwas erkannt und in seinem Buch "Strategic Vision: America and the Crisis of Global Power" (2012) fünf Jahre vor seinem Tod 2017 auch benannt.

Man kann es selber daran sehen, dass in Teilen der USA (nicht im ganzen Land) die Infrastruktur verkommt, während man gleichzeitig in fast jedes Land der Erde einmarschieren kann (ob man es halten kann, steht auf einem anderen Blatt).


Die russische Seite

Auch auf Russland gibt es Hardliner und Propagandisten einer imperialen Politik.
Der Kreis um Putin ist bekannt dafür.
Das geopolitische "Pendant" zu Zbigniew Brzezinski ist Alexander Dugin.

Der Punkt ist, dass Russland sich zwar einerseits durch die NATO-Erweiterungen bedroht fühlt, andererseits aber selber Provokationen inszeniert, um einen Kriegsvorwand zu haben.

Im Jahre 1999, als Putin noch Präsidentschaftskandidat und kaum bekannt war, explodierten in und um Moskau Wohnhäuser. Dadurch starben ungefähr 300 Menschen.
Zusätzlich kam es zu Zwischenfällen in Dagestan.
Putin wurde dadurch zum einen Präsident und hatte zum anderen einen vermeintlichen Kriegsgrund, Tschetschenien anzugreifen, dass nach dem vorangegangenen Ersten Tschetschenienkrieg zwar autonom, aber nicht unabhängig war.

Das Problem ist aber folgendes: Es bestehen größte Zweifel, ob die Anschläge auf Moskauer Hochhäuser und die Zwischenfälle in Dagestan wirklich von Tschetschenen ausgingen.
Folgendes ist zu beachten:

  • in einem Fall ging eine Hochhausbombe nicht hoch, weil ein aufmerksamer Anwohner drei Personen beobachtete, die Sprenggranulat in Säcken in den Keller des Hauses trugen;
    der Anwohner informierte die Polizei
  • die Polizei nahm aber keine Tschetschenen fest, sondern zwei Männer und eine Frau, die sich als Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB herausstellten
  • die Sprengstoffgranulat-Säcke für die Hochhaussprengungen waren als Zuckersäcke gekennzeichnet (später auch "Ryazan Sugar" genannt);
    in Kasernen gab es Soldaten, die an diesen angeblichen Zuckersäcken naschten, das Granulat ausspuckten und dann im Labor untersuchen ließen;
    dadurch kam heraus, was es wirklich war
  • Alexander Litwinienko, der selber Insiderinformationen hatte und um sein Leben fürchtend nach Großbritannien flüchtete, veröffentlichte über diverse False-Flag-Operationen das Buch "Blowing Up Russia"
  • danach wurde er mit radioaktivem Polonium vergiftet 

Man sieht an solchen Dingen, dass auch Russland falsch spielt.
Es reagiert nicht nur auf ausländische Provokationen, sondern schafft selber welche, die dann als Vorwand dienen, in Nachbarländer einzuwirken (z. B. durch Bestechung, Bedrohung und Geheimdienstmorde) und notfalls auch einzumarschieren.









Sonntag, 7. September 2025

MEINUNG/KOMMENTAR: DIE MENSCHHEITSGESCHICHTE AN SICH

07.09.2025

pixabay.com (Piyapong Saydaung)


Wenn man sich die Menschheitsgeschichte anschaut, dann war es auch immer eine Geschichte der Instabilität.

Immer wieder wollten macht- und ruhmsüchtige Herrscher etwas erobern und an sich reißen. Manchmal gelang es, manchmal überschätzten sie sich dabei.

Das "einfache Volk" war manchmal unwillig, ihnen zu folgen, weil für die einzelnen Menschen und die Familien viel auf dem Spiel stand, manchmal ließ sich das Volk auch mitreißen.

Selten gelang es, einfach einen ruhig funktionierenden Status Quo zu halten.
Manchmal gelang es auf Zeit und in einer begrenzten Region.

Man mag auch an den berühmten Satz aus Blaise Pascals "Gedanken" denken:
"Alle Probleme der Weltgeschichte kommen nur daher, dass die Menschen nicht ruhig hinter ihrem Tisch sitzen können (in einem Zimmer bleiben)."

In großen Teilen Europas gab es nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1945 eine lang anhaltende Friedensperiode, in der eine große Infrastruktur aufgebaut werden konnte.
Doch diese Phase des Friedens wirkte nicht übrerall:

  • auf den Zweiten Weltkrieg folgte der Kalte Krieg mit der ständigen Gefahr atomarer Zerstörung
  • weltweit gesehen war die Zeit nach 1945 keineswegs überall eine Friedenszeit
  • auch in Europa selbst herrschte nicht überall Frieden:
    in Teilen Osteuropas gingen die Kampfhandlungen nach 1945 weiter (ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg);
    das Ende des Kalten Krieges wäre auch in Europa beinahe blutig geworden;
    nach dem Ende des Kalten Krieges brach auf dem Balkan der Yugoslawienkrieg aus

Insgesamt gesehen wäre es "normativ" besser, wenn man andere Ziele formulieren und angehen würde:

  • weltweite Verbesserung des Wohlstandes
  • Weiterentwicklung der Medizin zum Wohle aller
  • Vermeidung von "Modernisierungsfallen" wie Übertechnisierung, Überkomplexität, Entfremdung und unsinniger Beschleunigung
    (das bedeutuet nicht: Technikfeindlichkeit)
  • gegebenenfalls Besiedlung anderer Planeten oder Monde
  • Freibier für alle! 

 

Donnerstag, 28. August 2025

EMPIRE - DIE NEUE WELTORDNUNG

28.08.2025


"Empire - die neue Weltordnung" ("Empire. Globalization as a new Roman order, awaiting its early Christians") ist ein 2000 (dt. 2002) erschienenes Buch von Michael Hardt und Antonio Negri, das die Weltordnung zu Beginn des 21. Jhd.s beschreiben möchte.
Das Werk beschäftigt sich mit den Auswirkungen der (angeblichen) Globalisierung und postuliert, dass es auf der Welt die Tendenz gäbe, dass sich statt mehrerer Imperien (Großreiche) ein einziges Imperium, dass Empire, bilde. Souverän seien dann nicht mehr die Nationalstaaten, sondern das Kapital selber.

Diese Grundthese, die von Philosophen wie Slavoj Žižek gelobt wurde, wurde auch von einigen Intellektuellen kritisiert. Zum einen ist strittig, auf welche Aspekte der Gesellschaft sich überhaupt Globalisierungstendenzen beziehen - denn weltweite Handelsbeziehungen gab es schon zur Zeit der Entdeckungen seit dem späten 15. Jhd. - und ob sich statt der "herkömmlichen" Imperien wirklich ein Empire bildet. 
Sicher gibt es international ähnliche Herrschafts- und Geschäftsstrukturen. Andererseits ist es aber so, dass sich klassische Imperien wie die USA, Russland, China oder künftig weitere Imperien eher auf ihre eigenen Kräfte verlassen oder sogar zueinander in Konkurrenz stehen, anstatt sich gemeinsam zu einem großen Empire zu transformieren.
Generell ist zu beobachten, dass das von einigen Forschern prognostizierte Absterben der Nationalstaaten - großen wie kleinen - nicht eingetreten ist und wahrscheinlich vorerst auch nicht eintreten wird. Inzwischen, also seit den 2010er-Jahren und spätestens seit der Ersten Präsidentschaft von Donald Trump diagnostizieren viele Analysten eher eine Re-Nationalisierung.

Inzwischen sind weitere Bände erschienen:

  • Multitude - Krieg und Demokratie im Empire
  • Common Wealth - Das Ende des Eigentums 


INHALT

Empire will die Weltordnung an der Wende vom 20. zum 21. Jhd. beschreiben und erklären.
Hardt/Negri sehen den Imperialismus als (zugespitztes) Stadium des Kapitalismus' als überwunden an. Stattdessen sei der Souverän nicht mehr die Nationalstaaten selber, sondern das Kapital. Dieses verfüge über drei Machtinstrumente:

  • die Atombombe
  • das Geld
  • den "Äther" (transnationale Kommunikationssysteme) 
Die Macht hat jetzt angeblich kein eindeutiges Zentrum mehr. Sie ist überall.

Die Macht herrscht jetzt auf eine andere Art und Weise:
  • die Macht durchzieht das Leben mit Biomacht (Michel Foucault, Giorgio Agamben)
  • die Nationalstaaten verlieren an Bedeutung
  • Kriege werden zu Polizeiaktionen
  • es wird immateriell und vernetzt produziert (immaterielle Arbeit)
  • Institutionen der Disziplinargesellschaft nach wie Schule, Gefängnis, Klinik (vgl. Louis Althusser, Michel Foucault) verlieren ihre Begrenzung und werden über die ganze Gesellschaft ausgedehnt 
Es entsteht eine allgemeine und ubiquitäre Kontrollgesellschaft:
  • Sprachverhältnisse
  • militärische Einheiten
  • Muster der Migration
  • soziale Bewegungen
  • Firmen
  • physiologische Strukturen
  • persönliche Beziehungen 
Das Empire umfasst die ganze Welt, das ganze Leben und kennt kein Außen mehr.

Es kennt verschiedene Subjektformen, flache Hierarchien und einen extremen Austausch in Computernetzwerken.
 
Negri/Hardt sehen aber auch Begrenzungen: Das Empire sei gezwungen, auf Aktionen der "Multitude" (Vielheit, Menge; lat. multitudo) zu reagieren. Sie erschaffe es erst durch ihre Kreativität und Produktivität, so dass es von ihr abhängig sei.

Der Begriff Multitude ist im Buch Empire nicht ganz präzise definiert. Im Buch "Multitude - Krieg und Demokratie im Empire" wird dies genauer ausgeführt.
Historisch zurückführen lässt sich der Begriff Multitude (multitudo) auf Cicero (De re publica), Spinoza (Multitudo) und Gilles Deleuze (Rhizom). 


GEGENMAẞNAHMEN

  • da das Empire problematische Züge trägt, sind Gegnmaßnahmen sinnvoll
  • da es kein Außen mehr gibt, sollte man sich auch auf keinen Standpunkt außerhalb des Empires beziehen (sondern aus seinem Inneren heraus agieren)
  • die Multitude sollte zu sich selbst kommen und das (parasitäre) Empire abwerfen
  • Hardt/Negri halten aber das Ziel eines (positiv gesehenen) Kommunismus' für erreichbar
  • es müssen drei Rechte durchgesetzt werden:
    • Weltbürgerschaft
    • sozialer Lohn
    • Wiederaneignung 
  • Hardt/Negri entwerfen die Utopie eines "Gegen-Empires":
    in diesem sei ein "neuer Mensch" möglich und die ges. Zustände seien besser;
    körperliche Transformationen wie Piercings und Tätowierungen seien hierfür bereits erste Vorboten


REZEPTION


Die Rezeption des Buches war stark divergierend.
Zum einen schlug es mit seiner Thematik auf dem Büchermarkt und in öffentlichen und akademischen Diskussionen ein.

Slavoj Žižek lobte es als "Kommunistisches Manifest des 21. Jahrhunderts". In der damaligen Anti-Globalisierungsbewegung galt es vielen als "Bibel der Globalisierungskritik".
Das Buch erschien immerhin rund 10 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und technisch zu einer Zeit, in der sich das 1993 für die Allgemeinheit freigegebene WWW weltweit durchsetzte. Smartphones benötigten aber noch ein knappes Jahrzehnt, um aufzutrumpfen.

Es gab aber auch eine Reihe von Kritikern.
Jörg Lau monierte in der ZEIT das "pseudowissenschaftliche Gedröhne" und ein Übermaß an Pathos (zuviel Nietzscheanismus, zuviel Befreiungskitsch). Nach Lau gehe es auch darum, nicht eingetroffene marxistische Prognosen mit dem Befund eines real weiter existierenden Kapitalismus' zu versöhnen.
Der US-Historiker Matthew Connolly bezeichnete das Buch 2006 als "413 Seiten voller Plattitüden".

In der deutschen Linken Presse wie "konkret" oder "Jungle World" wurde das Buch Empire auch tendenziell negativ dargestellt. Aus Sicht der Autoren bediene und schaffe es zum einen eine Mode und zum anderen habe sich empirisch gesehen gar nicht so viel am herrschenden System geändert.
Andreas Benl leitet seinen Artikel in der Jungle World im September 2002 ein:
"Mit ihrem Buch »Empire« haben Antonio Negri und Michael Hardt anscheinend ein Standardwerk für die Antiglobalisierungsbewegung geschrieben. Das Buch erfüllt ein linkes Bedürfnis. Schließlich gibt es kaum noch Wälzer, die den Anspruch einer globalen Kapitalismuskritik erheben. Außerdem erscheint Hardt/Negris Beschreibung der »Neuen Weltordnung« origineller als das, was auf diesem Gebiet üblicherweise noch geboten wird."
Und weiter:
Nach einem vierhundertseitigen Durchgang durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, nach dem Lob der kapitalistischen »Deterritorialisierung« und der Kritik des linken Antiimperialismus sind Hardt/Negri schließlich bei einer philosophischen Begründung der Forderung angekommen, die Attac im Namen trägt. Damit die Wertproduktion gerecht weitergehen kann, müssen Korruption und Spekulation bekämpft werden. Hardt/Negris Kommunismus entpuppt sich als religiös inspirierter Kommunitarismus.

Unabhängig von diesen scharfen Polemiken kann man aber gegen das Werk einwenden, dass es zwar gewisse Entwicklungen hin zu einem von Hardt/Negri beschriebenen Empire geben mag - oder um 2000 gegeben hat, dass aber die Stärke und Souveränität der Nationalstaaten und insbesondere der Imperien (Großreiche) keinen wirklichen Dämpfer erhalten hat. Gerade die USA, Russland und China treten seit dem frühen 21. Jhd. immer nationalistischer und imperialistischer auf.


QUELLEN/LITERATUR:

Wikipedia
-
Benl, Andreas: Ein Reich komme. "Empire" befriedigt das Bedürfnis nach linker Welterklärung, erklärt aber wenig; in: Jungle World, 04.09.2002
Hardt, Michael/Antonio Negri: Empire. Globalization as a new Roman order, awaiting its early Christians; 2000
Hardt, Michael/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung; Frankfurt/Main 2002 (Campus)
Hardt, Michael/Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire; Frankfurt/Main 2004 (Campus)
Hardt, Michael/Antionio Negri: Common Wealth. Das Ende des Eigentums; Frankfurt/Main 2010 (Campus)