* 16.10.1918, Birmandreis (Bir Mourad Rais)/Algier
+ 22.10.1990, Paris
Louis Althusser war ein französischer Philosoph. Er gilt als einflussreicher marxistischer Theoretiker des 20. Jhd.s, war der Lehrer von Alain Badiou, Michel Foucault, Jacques Derrida, Maurice Godelier, Nicos Poulantzas, Jacques Ranciére, Étienne Balibar und Bernard-Henri Lévy und beeinflusste viele andere Denker.
Louis Althusser und seine Schwester verbrachten ihre Jugend in NW-Afrika |
Wir haben viele biographische Informationen aus seiner Autobiographie "Die Zukunft hat Zeit" (L'avenir dure longtemps) und dem kleinen Biographieansatz "Die Tatsachen" (Les faits). Besonders das erstgenannte Werk ist sehr informationsreich, wenn auch manchmal stark psychoanalytisch überlagert und etwas apologetisch.
Louis Althusser schildert darin sein Aufwachsen in Birmandreis (Bir Mourad Rais) im französischen Algerien nach dem Ersten Weltkrieg und seine problematischen Familienverhältnisse. Sein Vater Charles Althusser war ein Bankier aus einer Aufsteigerfamilie, der als autoritär und lebenslustig, der Erziehung der Kinder gegenüber aber gleichgültig beschrieben wird, seine Mutter Lucienne Berger stammte aus einer Familie frankophiler Elsässer, die sich nach dem Anschluss des Elsass' an das Deutsche Reich wie viele Gleichgesinnte ins französische Algerien begeben hatte. In der ländlichen Region Algeriens war ihr Vater oft mit Aufständen einheimischer Stämme konfrontiert, so dass sie mit ihrer Schwester oft in Sicherheit gebracht werden musste.
Die Ehe der Eltern war unglücklich, weil die Mutter eigentlich den jüngeren Bruder ihres Mannes, Louis, heiraten wollte, der seinerseits der Liebling seiner Mutter war. Dessen Tod im Ersten Weltkrieg machte die Träume von Althussers Mutter zunichte und so heiratete sie aufgrund des Familienwillens seinen Bruder Charles.
Die Mutter Althussers war frustriert über ihr Los in der Ehe, versuchte aber, ihn als gedachten Ersatzpartner für ihren verstorbenen Ehemann in spe aufzubauen und zu instrumentalisieren. Deshalb benannte sie ihn auch Louis. Lucienne Althusser setzte ihren Sohn schulisch stark unter Druck und traktierte ihn ausserdem mit religiösen und bildungsbürgerlichen Allüren. Sie zwang ihn z. B. zum Kirchgang und zur klassischen Musik, weil sie einerseits in ihrer Ehe frustriert war und ihn andererseits so geistig haben wollte wie ihren verstorbenen Geliebten. Althusser erklärte später, dass er sich dadurch als körperlos empfand und deshalb nach materiellen Gegengewichten suchte. Er engagierte sich schon in der Schule politisch - und zwar noch in seiner konservativ-monarchistischen Phase - und befasste sich später mit materialistisch-marxistischer Philosophie. (1948 trat er in die Kommunistische Partei Frankreichs ein.)
Rein geographisch empfand Althusser seine Kindheit in Nordafrika noch als spannend. Umso einschneidender war für ihn der durch den Beruf seines Vaters erzwungene Umzug nach Lyon und den Wechsel ans dortige Lycée du Parc. Sozial blieb man dem katholischen Milieu treu. Die Schüler waren elitär, katholisch, monarchistisch und oft antisemitisch eingestellt.
Althusser selbst litt als Schüler sehr darunter, dass er zwar schulisch relativ gut war - auch wenn er seine Erfolge eher als Show empfand - dafür aber sportlich und schwimmtechnisch schlecht und von seinem psychosozialen Auftreten her zurückgeblieben. Er zeigte auch schon erste Anzeichen einer Nervenschwäche, z. B. wenn er Mitschüler beaufsichtigen musste und sie sich ihm widersetzten und er nichts dagegen tun konnte.
Althusser hatte allerdings einige Lehrer, die in ihm das Interesse für allgemeine und politische Bildung erweckten und aufgrund ihrer konservativ-katholischen Ausrichtung über gute Kontakte zum Vatikan verfügten. Hier sah er das Materielle und Gegenständliche, dass ihm in seiner erzwungenen Geistigkeit fehlte. Einer seiner Lehrer erkannte im Angesicht der wachsenden Macht Nazideutschlands schon früh, dass die französische Bourgeoisie, die auch im eigenen Land bedrängt war, im Notfall auch mit Hitler kollaborieren würde. Sie würden sich also zum Schutze ihrer Klasseninteressen auch gegen ihr eigenes Land stellen!
Althusser beschreibt aber auch Dinge aus dem Schulalltag, wie z. B. einige Marotten der Lehrer. Er beschreibt auch, wie er trotz guter Schulnoten gewisse Defizite in einigen naturwissenschaftlichen Fächern und in Latein hatte.
Angesichts der Tatsache, dass Althusser in einem katholisch-monarchistischen Milieu aufwuchs, gegen das er nur langsam zu rebellieren begann, liefert seine Autobiographie eine gute Studie über das Denken im traditionellen Frankreich. Althussers frühe rechte Anfänge sind umso erstaunlicher, als er später als grosser linker Denker Frankreichs gelten sollte - neben Sartre als einer der größten.
Althusser empfand die Betätigungsmöglichkeiten in katholischen Jugendverbänden auch später noch als wichtig für seine Entwicklung, weil er dadurch als vergeistigter und abhängiger Schüler Einsatzwille, Selbstbestätigung und Autonomie lernte. Er bekannte später, wie er unter der erzwungenen Vergeistigung litt und dass er trotz der Härten, die das mit sich gebracht hätte, lieber zu den Schülern gehört hätte, die sich dauernd prügelten.
Wie sehr sich diese Prognosen der Lehrer in den späten 30er-Jahren als wahr erweisen würden, konnte Althusser gleich 1940 beim deutschen Angriff erfahren. Der Krieg dauerte nur kurz und er selbst geriet in Kriegsgefangenschaft. Althusser wurde an der Saarpfalz und an anderen Lagern interniert. Dort mussten die Gefangenen Zwangsarbeit leisten, wofür er sich aber nicht besonders begeistern konnte. Auch sah er den Sittenverfall unter den Gefangenen und durch den Krieg allgemein.
Aus dieser Zeit gibt es auch berühmte fotographische Aufnahmen von ihm.
Louis Althusser als Kriegsgefangener |
Für Althusser war makabererweise auch das eine spannende Befreiung aus dem Alltagstrott und der Abhängigkeit von der Familie. Althusser hatte zwar keine Lust, als Zwangsarbeiter für den Gegner seinen Fleiss zu beweisen, beobachtete aber dafür die Mitgefangenen verschiedener ethnischer Provenienz genau. Im Lager merkte er aber auch die ersten deutlicheren Anzeichen einer phasenweise wiederkehrenden Depression.
Studium und Politisierung
Nach dem Krieg studierte Althusser gegen den Willen seines Vaters Philosophie an der École normale supérieure (ENS). Er lernte 1946 seine Frau Hélène Rytman (Légotien) kennen. Sie war eine Jüdin aus Litauen und hatte ähnlich wie er eine launische Mutter. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte sie gegen die Nazis. Es gab bei den vielen internen Kämpfen der Widerständler auch Vorwürfe gegen sie, dass sie mit der Gestapo kollaboriert habe.
Althusser deutet in seiner Autobiographie an, dass viele seiner philosophischen Anstöße eigentlich von ihr kamen. Auf jeden Fall entschied er sich nach Beendigung des Studiums beruflich für die Universitätslaufbahn. Er konnte sozusagen auch da symbolisch gesehen nur schwer von der beschützenden und gehassten Übermutter loskommen.
Der katholisch-monarchistisch erzogene Althusser orientierte nach dem Krieg auch politisch neu und trat nach einer links-katholischen Übergangsphase 1948 in die Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) ein. Auch dabei spielte der Einfluss seiner Frau eine bedeutende Rolle.
Innerhalb der Partei vertrat Althusser sehr früh den dogmatischen Flügel. Man kann ihn sogar als Stalinisten bezeichnen. Später sympathisierte er mit Mao und ärgerte sich, dass er eine Gelegenheit, den "Großen Vorsitzenden" zu sehen, hat verstreichen lassen.
In Frankreich war die Kommunistische Partei nach dem Krieg ähnlich wie in Italien sehr populär. Man schrieb ihr eine führende Rolle im Kampf gegen den Nationalsozialismus zu. Die neuere Forschung sieht aber auch das etwas kritischer.
Innerhalb der Partei vertrat Althusser sehr früh den dogmatischen Flügel. Man kann ihn sogar als Stalinisten bezeichnen. Später sympathisierte er mit Mao und ärgerte sich, dass er eine Gelegenheit, den "Großen Vorsitzenden" zu sehen, hat verstreichen lassen.
In Frankreich war die Kommunistische Partei nach dem Krieg ähnlich wie in Italien sehr populär. Man schrieb ihr eine führende Rolle im Kampf gegen den Nationalsozialismus zu. Die neuere Forschung sieht aber auch das etwas kritischer.
Aufgrund intensiver Quellenauswertung sieht man, dass es nicht nur rechte Kollaboration mit den Nazis gab, sondern auch linke, und dass die Kommunistische Parteizeitung "L' Humanité" kurz nach dem Einmarsch der Wehrmacht versuchte, bei den Besatzungsbehörden eine Lizenz zu erhalten, um wieder erscheinen zu können. Auch setzte der intensive Widerstand der KPF noch nicht 1940 ein, sondern 1941 nach dem Überfall auf die Sowjetunion.
Nachdem sich Althusser also mit den späten 40er-Jahren zum Kommunismus hingewendet hatte und in den 50er-Jahren ähnlich wie Sartre sogar Verständnis für die Unterdrückung osteuropäischer Aufstände gegen die Sowjetherrschaft zeigte, kam in den 60er-Jahren mit dem Aufkommen der Studentenbewegung seien eigentliche Zeit
In den 1960er-Jahren zeigte sich weltweit das Heraufdämmern einer Neuen Linken. Es ging um viele Themen: Protest gegen autoritäre Strukturen, Protest gegen Altnazis und Altfaschisten, Antirassismus und natürlich um den Vietnamkrieg. In vielen westlichen Industrieländern einschließlich Japans war an den Universitäten die Hölle los. Aus dem Zerfall der Bewegung sollten sich später auch viele terroristische Gruppierungen entwickeln. Übrigens wird besonders die Radikalität im damaligen Japan unterschätzt. Dort gab es sehr viele Tote.
Auch in Frankreich waren die Proteste des "Mai 1968" besonders intensiv. Parolen wie "Sous les pavés la plage" machten die Runde.
Althusser witterte Morgenluft. Anders als viele Aktivisten war er ja schon vorher links gewesen.
In Frankreich waren die Mai-Auseinandersetzungen nicht nur besonders stark, sondern es kam auch zu einer Teilsolidarisierung zwischen Arbeitern und Studenten. Für viele schien die Revolution zum Greifen nahe - so auch für Althusser.
Doch wie wir wissen, kam es anders: Der an den Rand gedrängte de Gaulle, der schon zu französischen Truppen nach Deutschland geflohen war (bis heute weiß keiner genau, ob er von dort einen Militäreinsatz plante), organisierte einen Gegenschlag. Von einer Kaserne in Grenznähe mobilisierte bürgerliche Kräfte aus allen Provinzen - wie er zugab, auch ehemalige Kollaborateure. Sie sollten nach Paris zu kommen und dort das nicht-linke Frankreich repräsentieren. So gelang es dem konservativen Lager (einschließlich ehemaliger Pétainisten) wider Erwarten doch, die Stimmung noch einmal zu drehen und die darauf folgenden Wahlen zu gewinnen.
Doch wie wir wissen, kam es anders: Der an den Rand gedrängte de Gaulle, der schon zu französischen Truppen nach Deutschland geflohen war (bis heute weiß keiner genau, ob er von dort einen Militäreinsatz plante), organisierte einen Gegenschlag. Von einer Kaserne in Grenznähe mobilisierte bürgerliche Kräfte aus allen Provinzen - wie er zugab, auch ehemalige Kollaborateure. Sie sollten nach Paris zu kommen und dort das nicht-linke Frankreich repräsentieren. So gelang es dem konservativen Lager (einschließlich ehemaliger Pétainisten) wider Erwarten doch, die Stimmung noch einmal zu drehen und die darauf folgenden Wahlen zu gewinnen.
Althusser scharte bei diesen Auseinandersetzungen Weggefährten um sich, die in den kommenden Jahrzehnten eine grosse Rolle spielen sollten. Einer davon war Étienne Balibar, der auch an einigen von Althussers Schriften dieser Zeit mitwirkte. (Später verfasste er Texte mit Immanuel Wallerstein.)
Andere Schüler waren Michel Foucault, Nicos Poulantzas und Bernard-Henri Lévy. Den unter Linken so berühmte Sartre schätze er allerdings weniger.
Althussers Hauptwerke in dieser Zeit waren Für Marx und Das Kapital lesen.
Althusser ging davon aus, dass es in Marxens Werk(en) einen "epistem(olog)ischen Bruch" zwischen den frühen und den reiferen Werken gegeben habe. Den Begriff hatte er von Gaston Bachelard entlehnt.
Andere Denker wie Raymond Aron lehnten diese These kategorisch ab.
Althusser unterzog Marx einer philosophischen strukturellen Betrachtung. Er selbst war aber zögerlich, sich den Strukturalisten zuordnen zu lassen.
In den 1970er-Jahren ging Althusser zur Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) zunehmend auf Distanz. Auch dieser Wandlungsprozess soll von seiner Frau mit angestoßen worden sein - wie so viele in Althussers Leben. Sie war selber aus der Partei ausgetreten.
Althusser widmete sich auch philosophisch neuen Wegen und Theoriefeldern. In seiner Theorie der "Ideologischen Staatsapparate" (ISA) untersuchte er, wie in Institutione wie Familie, Schule und Kirche das Bewusstsein der Menschen ideologisch geformt wird. Diese waren für ihn die notwendige Ergänzung zu den Repressiven Staatsapparaten (RSA) wie Polizei, Militär und Geheimdienste. Die ISA seien nicht nur im ideologischen Überbau lokalisiert, sondern hätten auch in der materiellen Basis eine Verankerung.
Psychische Probleme und Tötung seiner Frau
Althussers Autobiographie liest sich streckenweise nicht nur wie ein Querschnitt durch die Entwicklung der französischen Bourgeoisie des 20. Jhd.s, sondern auch durch die Entwicklung der Psychiatrie und der Psychopharmaka. Althusser schildert, wie er, beginnend mit familiären Konflikten und seit seiner deutschen Kriegsgefangenschaft verstärkt, psychische Störungen entwickelt hat. Er musste sich deshalb regelmässig gegen depressive Schübe behandeln lassen. Damals bedeutete das die Behandlung mit Antidepressiva auf Basis von Monoaminooxidasehemmern (-ung) und Elektroschockbehandlung. Bei ihm wechselten sich Arbeitsunterbrechungen und manische Arbeitsanfälle ab.
Andere Schüler waren Michel Foucault, Nicos Poulantzas und Bernard-Henri Lévy. Den unter Linken so berühmte Sartre schätze er allerdings weniger.
Althussers Hauptwerke in dieser Zeit waren Für Marx und Das Kapital lesen.
Althusser ging davon aus, dass es in Marxens Werk(en) einen "epistem(olog)ischen Bruch" zwischen den frühen und den reiferen Werken gegeben habe. Den Begriff hatte er von Gaston Bachelard entlehnt.
Andere Denker wie Raymond Aron lehnten diese These kategorisch ab.
Althusser unterzog Marx einer philosophischen strukturellen Betrachtung. Er selbst war aber zögerlich, sich den Strukturalisten zuordnen zu lassen.
In den 1970er-Jahren ging Althusser zur Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) zunehmend auf Distanz. Auch dieser Wandlungsprozess soll von seiner Frau mit angestoßen worden sein - wie so viele in Althussers Leben. Sie war selber aus der Partei ausgetreten.
Althusser widmete sich auch philosophisch neuen Wegen und Theoriefeldern. In seiner Theorie der "Ideologischen Staatsapparate" (ISA) untersuchte er, wie in Institutione wie Familie, Schule und Kirche das Bewusstsein der Menschen ideologisch geformt wird. Diese waren für ihn die notwendige Ergänzung zu den Repressiven Staatsapparaten (RSA) wie Polizei, Militär und Geheimdienste. Die ISA seien nicht nur im ideologischen Überbau lokalisiert, sondern hätten auch in der materiellen Basis eine Verankerung.
Psychische Probleme und Tötung seiner Frau
Althussers Autobiographie liest sich streckenweise nicht nur wie ein Querschnitt durch die Entwicklung der französischen Bourgeoisie des 20. Jhd.s, sondern auch durch die Entwicklung der Psychiatrie und der Psychopharmaka. Althusser schildert, wie er, beginnend mit familiären Konflikten und seit seiner deutschen Kriegsgefangenschaft verstärkt, psychische Störungen entwickelt hat. Er musste sich deshalb regelmässig gegen depressive Schübe behandeln lassen. Damals bedeutete das die Behandlung mit Antidepressiva auf Basis von Monoaminooxidasehemmern (-ung) und Elektroschockbehandlung. Bei ihm wechselten sich Arbeitsunterbrechungen und manische Arbeitsanfälle ab.
Louis Althusser und Hélène Althusser (Rytman) in den 1950ern. |
Am 16. November 1980 erdrosselte Althusser seine Frau Hélène Rytman. Die genauen Umstände ihres Todes blieben ungeklärt. Althusser behauptete gegenüber der Polizei und in seiner Autobiographie, er habe sie massiert und machte Erinnerungslücken geltend. Althusser wurde von Spitzenbeamten protegiert und später in eine geschlossene psychiatrische Anstalt (Sainte Anne) eingewiesen. Zu einer Anklage kam es nicht. Dieses Verfahren wurde öffentlich kritisiert. 1983 kam Althusser wieder frei.
Spätwerk und Tod
Nach der Entlassung aus der Psychiatrie schrieb seine Autobiographie und verfasste einige philosophische Kurztexte. Genaugenommen die zweite nach einem ersten Entwurf in den 70er-Jahren. Vieles wurde erst aus seinem Nachlass veröffentlicht.
In seiner Autobiographie beschreibt Althusser nicht nur seine Lebensstationen mitsamt seiner psychischen Krankheiten, wie wir beschrieben haben, sondern er gibt auch Bewertungen über politische Perspektiven aus damaliger Sicht ab. So rechtfertigt er in vielen Punkten die Politiker der Sowjetunion und zeigt sich überzeugt, dass Michail Gorbatschow mit seiner Systempolitik die Systemschwächen überwinden könne.
Zu Althussers Spätwerk gehören Essays, z. B. über den "aleatorischen Materialismus". Antonio Negri hat später dieses Thema aufgegriffen. Althusser untersucht darin die Bedeutung des Zufalls (lat. alea - Würfel) für materielle Prozesse und geht in seiner Untersuchung bis auf Rousseau, Hobbes, Spinoza und Machiavelli zurück, mit denen er sich schon zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn beschäftigt hat.
Louis Althusser starb am 22.10.1990 an einem Herzinfarkt. Er hatte in den letzten Jahren seines Lebens stark an seiner Isolation gelitten. Angeblich soll er manchmal aus seiner inneren Immigration ausgebrochen sein, indem er nach draußen lief uns rief: "Je suis le grand Althusser!" (Ich bin der große Althusser).
Seine Schwester, die wie er an Depressionen litt, starb ein Jahr nach ihm. Angeblich beging sie Selbstmord.
Louis Althusser starb am 22.10.1990 an einem Herzinfarkt. Er hatte in den letzten Jahren seines Lebens stark an seiner Isolation gelitten. Angeblich soll er manchmal aus seiner inneren Immigration ausgebrochen sein, indem er nach draußen lief uns rief: "Je suis le grand Althusser!" (Ich bin der große Althusser).
Seine Schwester, die wie er an Depressionen litt, starb ein Jahr nach ihm. Angeblich beging sie Selbstmord.
THEORIE
Althusser, der unter anderem von der Psychoanalyse Jacques Lacans, von der politischen Theorie Antonio Gramscis, von der Philosophie Spinozas sowie von der Epistemologie Gaston Bachelards beeinflusst war, unterzog das Werk von Karl Marx einer strukturalistischen Analyse.
Althusser spielte in den marxistischen Diskussionen Frankreichs, Italiens und Lateinamerikas eine wichtige Rolle, doch im (noch) geteilten Deutschland blieb ihm die Anerkennung verwehrt. Althussers Gedanken beeinflussen bis heute politische und philosophische Debatten, auch wenn seine Rezeption Schwankungen unterworfen ist.
Judith Butler und Slavoj Zizek integrierten bsw. Althussers Begriff der "Anrufung" (Interpellation) in ihre Subjekt-, Ideologie- und Gesellschaftstheorie. Die "Überdeterminierung" wurde von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe aufgegriffen. Der Begriff stammt aus der Psychoanalyse von Sigmund Freud und meint, dass mehrere Ursachen für ein Ereignis vorliegen.
Für Althusser existiert im dialektischen wie im historischen Materialismus ein Vorrang der Praxis und zwar in verschiedenen Arten. Alle Ebenen der sozialen Existenz sind Praxen. Für Althusser ist Praxis die Transformation eines Ausgangsmaterials durch Akteure, die in einem bestimmten Kontext Produkte herstellen. Sie ist immer das determinierende Moment.
Althusser unterscheidet mehrere Arten von Praxis: theoretisch-wissenschaftlich, politisch, ideologisch und ökonomisch.
Die Konfiguration aller Praxisformen bildet die Gesellschaftsformation.
Die Akteure sind die in Klassen organisierten Menschen im Kontext bestimmter Produktionsverhältnisse und politisch-ideologischer Verhältnisse.
(Vgl. "Das Kapital lesen"!)
Wissenschaften sollen versuchen, die theoretischen Ideologien in (wiss.) Wissen zu transformieren.
Wichtige Begriffe bei Althusser sind auch "Ideologische Staatsapparate" (ISA) und "Repressive Staatsapparate" (RSA).
Diese werden nicht in einem seiner Hauptwerke als Begriffe eingeführt, sondern in dem Aufsatz "Ideologie und ideologische Staatsapparate".
Althusser geht darin der Frage nach, wie sich die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus in den Ideologien (Alltagsideologien) seiner Subjekte reproduzieren. Für Althusser muss die Wiederherstellung der Produktivkraft auch ideologisch geleistet werden. Dafür reicht aber ein "falsches Klassenbewusstsein" im Überbau nicht aus. Vielmehr müsse eine Ideologie eine eigene materielle Existenz haben.
Althusser bezieht sich immer wieder auf das materialistische/marxistische Schema von (materieller) Basis und (ideologischem) Überbau, differenziert dieses aber weiter aus.
Der Staatsapparat ist nicht mehr wie bei Marx die rechtliche und politische Einrichtung des Staate, sondern von der Staatsmacht autonom zu denken.
Das bedeutet, dass diese ihn nicht zwangsläufig kontrolliert!
Althusser geht zwar zunächst von den ideologischen Staatsapparaten aus, differenziert dann aber zwischen ideologischen und repressiven Staatsapparaten, bzw. ISA und RSA.
Unter RSA versteht Althusser Institutionen, die durch Gewalt funktionieren und wirken. Die Gewalt ist auch physisch gemeint, kann aber auch abstrakter verstanden werden. Die ISA können dagegen als Machtinstrumente gedacht werden, die "im Vorfeld" wirken. Man kommt dann gar nicht mehr auf den Gedanken, gegen die gegebenen Regeln zu verstoßen und die RSA zu bemühen. ISA sind Familie, Schule, Kirche und Massenmedien. Sie wirken eben durch die Ideologie. Dabei ist zu bedenken, dass die Kirche und insbesondere die katholische zu Althussers Zeiten in Frankreich noch stärker war als gegen Ende des 20. Jhd.s, obwohl es damals schon säkulare Tendenzen gab.
Die Unterscheidung ist nach Althusser idealtypisch zu verstehen, d. h. es kann in der Realität auch zu Vermischungen kommen, so dass z. B. die ISA beim Misslingen ihrer Ziele auch auf RSA zurückgreifen (Interdependenz). Eine Eigenschaft dominiert aber meistens.
Die Verteilung von ISA und RSA in der Gesamtgesellschaft ist aber nicht gleich. Der RSA ist (fast) nur im öffentlichen Sektor (beim Staat) anzutreffen, die ISA treten öffentlich und privat (privatwirtschaftlich) auf. Ein Beispiel für den ersten Fall wäre die Armee, für den zweiten Fall die Massenmedien.
Wobei hier zwei Einschränkungen zu machen ist: Zum einen interessieren Althusser eher die Funktionsweise eines Apparates als sein Verbreitungsgebiet und zum anderen war zu seiner Zeit noch nicht klar, wie sehr Armeen auch mit privaten Söldnerunternehmen zusammenarbeiten können.
Entscheidend ist aber das Ziel: Die obligatorische Ideologie der herrschenden Klasse soll in den Menschen verankert werden. Das Weltbild der Unterdrückten formt sich entsprechend dem der Herrschenden.
Der Begriff der Ideologie basiert auf drei Grundsätzen:
- die Ideologie hat eine materielle Existenz
- die Ideologie repräsentiert das imaginäre Verhältnis der Individuen zu
ihren realen Existenzbedingungen
- die Ideologie ruft die Individuen als Subjekte an (Appelation)
Die Macht der ideologischen Staatsapparate (ISA) wirkt nach Althusser durch aufgezwungene Rituale und durch die Anrufung der Subjekte durch Institutionen des "großen Anderen" (Jacques Lacan), also durch Partei, Nation, Gott u. ä. Ideologie ist nicht einfach nur repressiv, sondern gibt dem Individuum die Möglichkeit, sich als Subjekt innerhalb der Gesellschaft zu konstituieren. Ideologie ist aber nicht nur Manipulation, sondern konstituiert erst die Subjekte, die sich dann auch noch irrtümlich als frei verstehen.
Althussers Schüler knüpften an seinen ISA-Ansatz und seine Machtanalyse an:
Nicos Poulantzas verwendete die ISA innerhalb seiner Staatstheorie. Er ging davon aus, dass der Staat entgegen der herrschenden marxistischen Lehre nicht direkt abhängig von den sozioökonomischen Verhältnissen sei, sondern dass der Staat relativ autonom agieren könne. Als konkretes Beispiel hatte er in seiner Zeit europäische (Noch-)Diktaturen wie Spanien, Portugal und seine Heimat Griechenland vor Augen. Die autoritären Machthaber dort waren nicht in jedem Fall im Dienste der (wirtschaftlich) herrschenden Klassen tätig.
Die manchmal sehr abstrakt daherkommenden Werke von Poulantzas treffen hier die politische Praxis, weil der sich früh links engagierende Jurist und gefühlter Sozialwissenschaftler aus seinem Land fliehen musste. Er floh zuerst nach Deutschland, wo aber zur damaligen Zeit gerade an juristischen Fakultäten noch ein rechter Wind wehte und dann nach Frankreich, wo er einige Zeit an Universitäten lehrte und auf Dozenten wie Althusser traf.
Doch zu einem Abschluss seiner Forschungsarbeit kam es auch hier nicht, weil der stark an Stimmungsschwankungen leidende Poulantzas Selbstmord beging - zu einer Zeit, als sich die marxistische Philosophie in Frankreich schon in einem Abwärtstrend befand, aber zu früh, um den Niedergang des Staatskommunismus in den Ostblockländern noch mitzuerleben.
Ein anderer Althusser-Schüler, Michel Foucault, baute auf andere Art und Weise an dessen ISA-Konzept an. Foucault entwickelte eine Theorie des Diskurses und eine Theorie der Macht. Macht produziert nach Foucault auch materielle (institutionelle, körperliche) Effekte. Foucault befasste sich mit "Überwachen und Bestrafen" auch in historischer Sicht und verfasste gleichnamige Werke ("Surveiller et punir").
Ein wichtiger Untersuchungsbereich war das Gefängniswesen, gegen dessen behauptete Ungerechtigkeiten er auch praktisch vorging und sich in der G. I. P. betätigte (Groupe d'information sur les prisons). Ein anderer Bereich war die etablierte Psychiatrie, die sich damals schwerer Kritik ausgesetzt sah.
Foucault entwickelte aus seinen Forschungsprojekten auch den Begriff "Biomacht", der später von Giorgio Agamben genauer untersucht werden sollte.
Bei der Wahl von Foucaults Forschungsthemen spielte auch seine eigene Biographie eine Rolle, denn Foucault litt unter seiner katholischen Erziehung und seinen (homo-)sexuellen Phantasien.
Foucault konnte den weit gefassten Forschungskomplex aber nicht mehr lange bearbeiten, weil der sadomasochistische Homosexuelle 1984 an AIDS verstarb. Die Freiheit, die er erst kurz zuvor noch durch Übernahme einer Dozentenstelle im liberalen Kalifornien erreicht sah, wurde ihm zum Verhängnis.
REZEPTION
Ein Philosoph, der sich gedanklich so kontrovers betätigte, so oft in psychiatrischer Behandlung war und dann noch seine Frau umbrachte, sieht sich natürlich auch kontroversen Reaktionen ausgesetzt.
Slavoj Zizek (auf der Frankfurter Buchmesse) |
Slavoj Zizek, der bekannte slowenische Philosoph und Kulturkritiker, bezeichnete ihn einen "verschwindenden Vermittler" zwischen marxistischer Tradition und den Neuen Sozialen Bewegungen, die um "Entunterwerfung" bemüht sind und philosophisch unter der Bezeichung "Poststrukturalismus" firmierten.
Althusser habe dafür gestritten, dass „der Marxismus endlich beginnt, sich zu erkennen, wie er ist, und sich verändern wird“. In der Transformation in künftigen Klassenkämpfen wird Althusser nach Zizek so etwas wie eine "abwesende Ursache" sein, die aber in der Herausbildung einer neuen revolutionären Theorie und Praxis anwesend ist. Diese werde das Erbe von Marx und Lenin aus den Erkenntniszusammenhängen ("epistémé") des 19. Jhd.s lösen und es in einen Bezugsrahmen einbinden, der die Gesamtheit der Unterdrückungsfaktoren, die die Arbeitskraft als Ware konstituieren, an den Wurzeln packt und auszureißen hilft.
Henning Böke, ein linker Philosoph und Politikwissenschaftler, meinte, Althusser habe den revolutionären Marxismus immer als eine Art "Gegen-Marxismus" begriffen und (wohl unbewusst) als Erster im Marxismus jenen Paradigmenwechsel vollzogen, der heute als "linguistic turn" bezeichnet wird. Althusser habe das aus der klassischen Philosophie stammende Subjekt-Objekt-Paradigma durch ein diskursanalytisches ersetzt.
Henning Böke, ein linker Philosoph und Politikwissenschaftler, meinte, Althusser habe den revolutionären Marxismus immer als eine Art "Gegen-Marxismus" begriffen und (wohl unbewusst) als Erster im Marxismus jenen Paradigmenwechsel vollzogen, der heute als "linguistic turn" bezeichnet wird. Althusser habe das aus der klassischen Philosophie stammende Subjekt-Objekt-Paradigma durch ein diskursanalytisches ersetzt.
Althusser Theoriebildung und seine Verhaltensweisen haben aber auch entschiedene Kritiker auf den Plan gerufen. Dazu gehört Tony Judt, der dem Philosophen Psychopathien vorwirft und seine historischen Kenntnisse anzweifelt. Er bezeichnet Althusser als "sexuell obsessiv" und "größenwahnsinnig".
Die psychischen Krankheiten legt Althusser selber in seiner Autobiographie ("Die Zukunft hat Zeit") dar und sie manifestieren sich schließlich in der Tötung seiner Frau.
Die historischen Unzulänglichkeiten sieht Judt besonders in Althussers unhistorischer Herangehensweise an den Marxismus, was eigentlich der Grundidee des Marxismus' widerspräche.
Ähnlich kritisch sieht er auch Althussers Epistemologie, die nicht klar zwischen Wissen und Glauben unterscheide.
Tony Judt sieht aber den Marxismus an sich kritisch, denn er "historisiert alles Wissen, bis auf jenes, das er selbst als Wahrheit anbietet."
In der angelsächsischen Welt gibt es zwar auch Anhänger von Althusser, aber man sieht generell den (Star-)Kult des damaligen Frankreichs um seine Intellektuellen, die in Wirklichkeit angeblich gar nicht so präzise arbeiteten, äußerst kritisch.
Aufschlussreich ist auch der Aufsatz "The Paris Strangler" von John Sturrock (London Review of Books, 1992) über Althussers Autobiographie und die Biographie über ihn von Yann Moulier Boutang.
Doch auch im Inneren Frankreichs gab es Kritiker. Raymond Aron geht in seiner Kritik in einigen Punkten ähnlich wie Judt vor und greift Althussers Geschichts- und Epistemologiekompetenz an. Die Grundthese eines "epistemologischen Bruches" (den Begriff entlehnt Althusser bei Gaston Bachelard) sei durch nichts zu belegen.
QUELLEN UND LITERATUR:
Wikipedia (insbesondere Bilder)
Althusser, Louis: Die Zukunft hat Zeit (L'avenir dure longtemps); 1990
Kirshner, Lewis A.: The Man Who Didn't Exist. The Case of Louis Althusser (2003)
Rau, Milo: Althüssers Hände. Essays und Kommentare (aus einem Blog)
Suter, Lukas B: Althusser oder auch nicht (Theaterstück, 1994)
.
.
.
.