Der Fall Manson ist wieder in den Medien. Wir schreiben das Jahr 2016.
Seit einigen Jahren haben wir zum Fall Charles Manson und zur Manson Family publiziert. Angesichts der neuen Medienberichte erscheint es sinnvoll, einmal zu schauen, was aus den inhaftierten Anhängern der Manson Family geworden ist. Dabei wird einem wieder klar, wie weit und tief das Netzwerk dieser Gruppe gespannt war.
Insgesamt soll die Gruppe an die 100 Anhänger gehabt haben. Diese Gruppe aber war nicht so homogen, wie es scheint:
- Manche Anhänger waren nur geringfügig involviert, andere gehörten zum harten Kern.
- Nicht alle Anhänger von Charles Manson wurden kriminell, mache aber schon und einige begingen Kapitaldelikte (Mord, Totschlag).
- Von den Anhängern der Manson Family haben sich einige später von der Family losgesagt, andere wiederum nicht.
- Nach der Verhaftung gab es gewisse Sezessionstendenzen. Die Anhänger von Kenneth Como (Comoites) spalteten sich ab.
Hier soll es im folgenden um den harten Kern gehen.
Eine "historische Würdigung" aller Personen und Taten der Manson Family oder gar eine Aufzählung ihrer "kulturellen Leistungen" würde hier zu weit führen. Interessenten seien an entsprechende Aufsätze verwiesen!
Charles Manson und die Manson Family
NEUE ENTWICKLUNGEN
Seit nunmehr mehreren Jahrzehnten passiert es immer wieder, dass Berichte über die Manson Family Schlagzeilen machen. Deren Wirkung scheint also ungebrochen. Einige Medien sprechen auch von der "Manson Madness".
Aktuell (2016) geht es darum, dass
Leslie van Houten freigelassen werden soll. So klar ist das aber nicht. Bevor so etwas geschieht, müssen mehrere juristische Hürden überwunden werden. Viele andere, darunter zuletzt auch Bruce Davis (s. Text), sind daran gescheitert.
Leslie van Houten war immerhin beteiligt an einer Mordserie der Manson Family im Jahre 1969, die als die Tate-LaBianca-Morde in die Geschichte eingehen sollten. Persönlich anwesend war sie in der 2. Mordnacht, als das Ehepaar LaBianca getötet wurde.
Ebenso bekannt wurde erst jetzt (2016), dass gegen Ende 2015 eine Frauenleiche identifiziert wurde, die in der Nähe des Wirkkreises der Manson Family gefunden wurde. Seit 46 Jahren suchte man nach ihrer Identität und nannte sie Jane Doe, wie man es in den USA entsprechend zu John Doe mit allen nicht identifizierten Frauenleichen macht. Heute kennt man ihren wahren Namen:
Reet Jurvetson.
Drittens wurde im Januar (2016) eine Entlassungsempfehlung für
Bruce Davis aus dem Jahre 2015 von Gouverneur Jerry Brown abgeschmettert.
Bruce Davis hatte nach mehrmaligem Ersuchen in den Jahren 2012, 2014
und 2015 Entlassungsempfehlungen erhalten, die aber alle vom Gouverneur
Jerry Brown abgelehnt wurden.
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Leslie van Houten |
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Reet Jurvetson |
Exkurs (zur Erinnerung):
Die Manson Family war anfänglich eine Gruppe von Hippies, die sich nach anfänglicher Flower-Power-Romantik zunehmend radikalisierten. Anfangs fuhren sie in einem schwarzen Schulbus durch den Südwesten der USA, knüpften dann Kontakte zu den Beach Boys, anderen Künstlern und in die Filmszene und ließen sich schließlich auf der Spahn (Movie) Ranch nieder. Das war eine der in Kalifornien nicht seltenen Film-Ranches, auf der auch einmal die Serie Bonanza gedreht wurde. Die Manson Family wich dann aber aufgrund des Verfolgungsdruckes der Polizei - insbesondere wegen Diebstahls, Gewaltdelikte und Drogenhandels, immer mehr auf Ranches in der Nähe von Death Valley zurück (Barker Ranch, Myers Ranch).
Schließlich kamen sie unter dem Einfluss von Gruppendynamik, Drogen und durch den Kontakt zu Rockergruppen auf die Idee, in der Nähe von Death Valley Scharen von Unzufriedenen zu sammeln und dann mit einem riesigen Dune Baggy Attack Battalion auf Los Angeles loszuziehen. Damit war eine Art Privatarmee genmeint, die Manson - wohl nach dem Vorbild des Wüstenfuchses Erwin Rommel - gegen das verhasste Establishment anführen wollte. Dazu diente ihm quasi als Führungswagen ein gepanzerter, geklauter und mit einem Maschinengewehr ausgerüsteter Dünenbuggy. Mad Max läßt grüßen, obwohl es diesen Film damals noch nicht gab. Es gab aber eine Reihe von Protest- und Bikerfilmen, die hier inspirierend gewirkt haben mögen.
EINE ZWISCHENBILANZ
Wie viele Morde?
Interessant ist für kritische Geister etwas anderes: In den Medien wird häufig auf
7 Morde der Manson Family rekurriert. Manchmal wird auch nur die erste Mordnacht mit 5 Toten erwähnt und manchmal sogar nur der Tod der Schauspielerin Sharon Tate.
Bei den Tate-LaBianca-Morden im Sommer 1969 brachte die (später so genannte)
Manson Family insgesamt 7 Menschen um. In der Nacht vom 9. August
5 Menschen, darunter die
Schauspielerin Sharon Tate, in der darauffolgenden Nacht noch einmal
2
Menschen, Leno und Rosemary LaBianca.
Die
Morde wurden mit langen Messern und Schusswaffen
ausgeführt. Vielleicht spielte auch Strangulation eine Rolle.
In Wirklichkeit um
mehr Morde. Wieviel genau, wissen wir nicht.
In der Mordnacht vom 9. August starben:
- Sharon Tate
- Jay Sebring
- Wojciech Frykowski
- Abigail Folger
- Steve(n) Parent
In der Mordnacht vom 10. August starben:
- Leno LaBianca
- Rosemary LaBianca
Dabei beging die Manson Gang schon kurz vorher und kurz nachher je einen Mord.
Am 31.07.1969 starb:
- Gary Hinman: Musiker und Drogenproduzent
Am 26.08.1969 oder "ungefähr dann" starb:
- Donald Shea, genannt Shorty: Rancharbeiter, Cowboy, Stuntman.
Damit hätten wir schon
9 Morde!
Wenn man aber die Aussagen von Ermittlern hört und liest, dazu die Zahl der in der Gegend verschwundenen Menschen und Andeutungen von Mitgliedern der Manson Family betrachtet, so kann die Zahl der insgesamt gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen
30 bis 40 betragen (vgl. Vincent Bugliosi, Aussagen von Sandra Good). Das wäre deutlich mehr als die 9 nachgewiesenen Morde. Nicht zu vergessen ist auch, dass noch nach der Verhaftung Mansons viele Menschen unter ungeklärten Umständen zu Tode kamen. Insbesondere Zeugen, die ihn belasteten oder hätten belasten können, erging es nicht gut.
Weitere mögliche Morde:
- Nancy Warren und Cilda Delaney
- Marina Habe
- Darwin Scott
- Mark Walts
- Suzanne Scott (unsicher)
- John "Jesus" Haught
- Sherry Cooper
- James Sharp und Doreen Gaul
- Joel Pugh
- Ronald Hughes
- unklar: Karl Stubbs, Fillippo Tennerelli
Welche Täter?
Aber schon für die 7 sogenannten Tate-LaBianca-Morde sitzen einige Menschen schon seit mehreren Jahrzehnten. Viele wären zu Beginn der 70er-Jahre fast hingerichtet worden, doch dann wurde die Todesstrafe in Kalifornien vorübergehend aufgehoben. Auf Grund der vorübergehend liberaleren Rechtssprechung haben die Gefangenen außerdem die Möglichkeit, dass ihre lebenslange Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Bislang wurde dies aber mehrfach abgelehnt.
Schauen wir uns einmal an, wer direkt für diese Morde sitzt oder saß:
- Charles "Tex" Watson: Er war für Manson eine Art Offizier.
- Susan Atinks: Sie verstarb 2009 im Gefängnis an Krebs.
- Leslie van Houten
- Patricia Krenwinkel
- Linda Kasabian: Sie war die Fahrerin des Todeskommandos der ersten Mordnacht. Aufgrund einer Kronzeugenregelung kam sie relativ glimpflich davon.
Die noch lebenden Inhaftierten hoffen weiter auf eine Aussetzung ihrer Haftstrafe zur Bewährung ("parole").
Dazu kommen noch Verwicklungen an den Morden an Gary Hinman und Donald Shea.
Am Hinman-Mord waren Charles Manson, Susan Atkins, Bobby Beausoleil und wahrscheinlich Steve Grogan beteiligt.
Am Shea-Mord beteiligt waren wahrscheinlich Manson selbst, Charles Watson, Bruce Davis und Steve Grogan dabei. Es mag auch eine Mithilfe von
Catherine Share gegeben haben.
- Bobby Beausoleil: Er war am Mord an Gary Hinman beteiligt.
Beausoleil war ein Künstler und Musiker. Er arbeitete auch an Projekten mit Kenneth Anger mit. Beteiligt war unter anderem auch Mick Jagger.
- Bruce Davis: Er war wie Charles Watson eine Art Offizier Mansons.
Davis war am Mord an Donald Shea beteiligt. Bei ihm werden weitere Beteiligungen an Kapitaldelikten vermutet. Dazu zählt auch der Mord an Joel Pugh, dem Ex-Mann von Sandra Good.
- Steve "Clem" Grogan: Er war an mehreren Aktionen der Manson Family beteiligt. Vor Gericht hatte er aber das Glück, dass ihn die Richter für zu dumm und verrückt für einige Gräueltaten der Manson Family hielten. Grogan kam vorzeitig frei, heute spielt er in einer Band Gitarre.
Bruce Davis hofft weiterhin auf eine vorzeitige Freilassung.
Es gibt noch weitere Anhänger der Manson Family, die nicht im Gefängnis saßen. Das basiert darauf, dass sich nach der Inhaftierung Mansons und einiger seiner Anhänger in Folge der Tate-LaBianca-Morde unter den freien Family-Mitglieder Solidaritätskommittees bildeten. Diese begingen weitere Straftaten. Viele geschahen in einer Phase der Zusammenarbeit mit der noch recht jungen
Aryan Brotherhood. Dabei spaltete sich die die Familie aber an Aktivisten, die weiterhin Manson treu waren ("Mansonites") und Anhängern des AB-Mitglieds Kenneth Como ("Comoites").
Zu den Mansoniten gehörten Lynette Fromme, Sandra Good, Nancy Pitman und einige andere. Zu den Comoiten Catherine Share und Mary Brunner.
Aber auch die "abtrünnigen" Comoiten vergaßen ihre Loyalität zu Manson nicht völlig: Am 21.08.1971 überfiel eine Gruppe einen Waffenladen in Hawthorne, wurde dabei aber von der durch stillen Alarm herbeigerufenen Polizei überwältigt (u. a. Schüsse in den Waffenarm). Angeblich sollte der Überfall der Vorbereitung einer Flugzeugentführung mit Geiselnahme zur Freipressung von Manson dienen.
Beteiligte des Hawthorne-Überfalles:
- Kenneth Como: AB-Mitglied, Freund von Catherine Share, wurde Manson mit der Zeit abtrünnig. Diverse Delikte.
- Catherine Share: Freundin von Kenneth Como.
Share war auch unabhängig von der Schießerei in Hawthorne keine Unbekannte: Auch wenn sie sich später klar von der Manson Family distanzierte (es ging auch um das Sorgerecht für ihren Sohn!), hing sie lange tief im Sumpf der Manson-Straftaten.
Aufgrund gefundener Spuren ist eine Verwicklung in den Mord an Donald Shea (zumindest in Form der Beihilfe) wahrscheinlich. Außerdem soll sie zusammen mit Lynette Fromme, Dennis Rice, Steve Clem Grogan und Ruth Ann "Ouisch" Moorehouse versucht haben, der Zeugin Barbara Hoyt einen mit LSD vergifteten Burger "unterzujubeln".
- weitere Beteiligte
"Red and Blue" im Innen- und Außendienst
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Sandra "Blue" Good und Lynette "Red" Fromme |
Als ein Teil der Manson Family ins Gefängnis musste, ein anderer Teil in Freiheit aktiv blieb und es zu Spaltungstendenzen kam, erwiesen sich zwei Damen unter den Freien als besonders Manson-loyal und besonders militant:
- Sandra Good, genannt Sandy oder auch genannt Blue (Augenfarbe)
- Lynette Fromme, alias Squeaky alias Red (Haarfarbe)
Beide Damen haben während der Inhaftierung vieler Mitglieder der Family in Folge der Aufklärung der Morde von 1969 außerhalb des Gefängnisses für die Gruppe weitergearbeitet. Sie genossen aber zeitweise die Mithilfe weiterer Anhängerinnen wie z. B. Nancy Pitman.
Dabei kam es - wohl auf Geheiß des inhaftierten Charles Manson - zu der besagten Zusammenarbeit mit der noch jungen Gefangenenorganisation Aryan Brotherhood, die auch innerhalb und außerhalb der Gefängnisse arbeitete.
AB-Mitglieder sollen geholfen haben, die Anwalt von Leslie van Houten zu beseitigen, was aber nicht ganz gesichert ist, weil auch ein Wanderunfall in Betracht kommt. Außerdem sollen sie mehrere Raubüberfälle begangen haben und Zeugen in den eigenen Reihen beseitigt haben, die als nicht mehr zuverlässig galten (z. B. Ehepaar Willett).
Darunter waren folgende AB-Anhänger:
- Steve Bekins: Freund von Sandra Good, Erbe einer reichen Speditionsfamilie, dann aufgrund familiärer Konflikte kriminelle Karriere, zog mit Sandy aus Kalifornien weg, und wurde dann wegen eines Raubüberfalls auf einen Supermarkt verhaftet, später schwere Machtkämpfe im Gefängnis, seit ca. 2015 möglicherweise frei
- Michael Montfort: Freund von Nancy Pitman, hat mit James Craig in den frühen 70ern möglicherweise Zeugen beseitigt (z. B. Willett-Ehepaar), Raubüberfälle, lange Haftstrafe
- James Craig: Freund von Michael Montford, hat mit Michael Montfort möglicherweise Zeugen beseitigt (z. B. Willett-Ehepaar), Raubüberfälle, 1978 angeschossen und angezündet in einem Kofferraum aufgefunden, dann im Krankenhaus verstorben, letzte Worte: "She's dangerous!"
- William Goucher: Freund von Maria Alonzo, heute im Gefängnis
Inzwischen waren aus den beiden Hippie-Damen stramme Glaubenskämpferinnen in Nonnengewändern geworden - sie kämpften für die Natur, für die Luft, für die Bäume, für das Wasser und für die Tiere ... und natürlich für die Freilassung Mansons. Auf Englisch hieß ihre Organisation
ATWA, das steht für
Air Trees Water Animals. Vorher und nebenher hatten sie noch diverse andere Organisationen initiiert, darunter den
International Peoples Court for Retribution, der wahrscheinlich nicht viel mehr Anhänger hatte als die beiden Initiatorinnen. Man muss wissen, dass sich das in einer Zeit abspielte, in der sich die Protestbewegungen der 60er-Jahre zersplitterten und viele radikalisierten. Damals gab es in den USA auch Gruppen wie die Weathermen oder die Symbionese Liberation Army, die berühmt wurde für die Entführung der Verlegertochter Patty Hearst (die eine Zeit lang sogar übergelaufen zu sein schien).
Eine interessante Randbemerkung ist noch, dass die beiden Frauen in
ihrer Aktivenzeit zwischen den Tate-LaBianca-Morden 1969 und 1975 Besuch
von Journalisten der "
Neuen Revue" bekamen, einer deutschen
Illustrierten. Sie wurden interviewt und in ihren Nonnenkostümen vor
Gräbern abgelichtet. In den USA sind Kopien dieser Aufnahmen unter
Manson-Rechercheuren heute sehr beliebt.
Auf jeden Fall war die politische Arbeit von Sandra Good und Lynette Fromme im Außendienst etwas zu eifrig, denn 1975 landeten beide wieder im Knast.
Die Gründe für die Unfreiheit: 1975 wurde Lynette Fromme inhaftiert, nachdem sie den Präsidenten Gerald Ford mit einer Waffe bedrohte. Sie wollte mit ihm angeblich nur über gefährdete Bäume reden. Die Richter werteten das Vorgehen jedoch als versuchten Mord und setzten sie fest. Erst im Jahre 2009 (!) kam sie wieder frei.
Sandra Good, die mit der Tat Frommes offiziell nichts zu tun gehabt haben wollte, erwischte es auch. Im selben Jahr musste sie für 10 Jahre ins Gefängnis. Vorgesehen waren eigentlich 15, aber sie kam wegen guter Führung widerwillig früher frei. Sandra Good hatte aufgrund ihrer ökologischen Motivation Morddrohungen an Führungsfiguren in Wirtschaft und Gesellschaft geschrieben. Ein männlicher Helfer bekam dabei kalte Füsse und ging zu den Behörden. Andere Helfer, die die Damen vorher für ihre revolutionären Aktionen einspannen wollten, hatten bereits das Weite gesucht.
Auf jeden Fall sieht man, wenn man die Verbindungen dieses Netzwerkes der Manson-Anhänger genauer aufschlüsselt, weit tiefer strukturiert war, als man auf den ersten Blick denken mag. Wahrscheinlich ist aber auch seine Blutspur erheblich breiter und länger, als man bisher dachte.
Es handelte sich um ein Netzwerk, das in den 60ern immerhin Kontakte zur Filmindustrie und zu den Beach Boys hergestellt hatte - einschließlich der Mitwirkung am Album 20/20 - und das dann eine Zeit lang auf diversen Ranches zugegen war, wo sich viele Künstler und Prominente der damaligen Zeit die Klinke in die Hand gaben, die später häufig nichts mehr davon wissen wollten. Die Family hat schon damals die Gegend in und um Kalifornien unsicher gemacht und verfügt auch noch heute über erstaunlich viele Anhänger.
Manson ist einer der Gefangenen, die im weltweiten Vergleich die meiste Gefangenenpost erhalten.