Udo Proksch war ein in Rostock geborener österreichischer Tausendsassa, der sich als Unternehmer, Netzwerker, Ideenerfinder und schließlich als Krimineller betätigte.
JUGEND IM NS
Proksch kam schon als Kind mit seinen Eltern nach Österreich, das nach dem sog. Anschluss von 1938 Teil des (Groß-)Deutschen Reiches war.
Seine Eltern Rudolf und Anna Elisabeth Proksch waren überzeugte Nationalsozialisten. Sie blieben es, im Gegensatz zu vielen, die sich vom NS abwendeten oder leugneten, jemals etwas damit zu tun gehabt zu haben, auch nach 1945. Die Familie war umtriebig unterwegs. Nach einem seiner Großväter ist sogar die Rudolf-Proksch-Hütte (eine Berghütte) benannt.
Udo Proksch besuchte früh eine NAPOLA-Schule, nämlich die bei Bischofshofen. Dort hatte er es mit seiner geringen Körpergröße durch das sozialdarwinistische Klima schwer. Er versuchte schon damals, das durch großspuriges Auftreten zu kompensieren.
KARRIERE IN DER NACHKRIEGSZEIT
Nach 1945 distanzierte sich Proksch zwar von der Ideologie des Nationalsozialismus', blieb aber den kriegerisch-abenteuerischen Idealen seiner Erziehung treu (vgl. Yukio Mishima). Proksch hantierte gerne mit Waffen und Sprengstoff, suchte Abenteuer und Konfrontationen und tüftelte gerne.
Nach außen gab Proksch den Kreativen und Tausendsassa und eckte gerne an. Er galt als Enfant terrible und spielte gerne den Feind der Bourgeoisie, obwohl er gleichzeitig deren Kontakt und Bewunderung suchte.
Kritiker bewunderten ihn einerseits für seine Kreativität und Umtriebigkeit, andererseits kritisierten sie seine Aufgeblasenheit und die geringe Strukturierung seiner Aussagen und Werke.
Trotz seiner geringen Körpergröße kam Proksch durch seine Art bei Frauen gut an. In seinen Beziehungen kamen harte und weiche Charakterzüge zum Vorschein. Von 1962 - 1967 war er mit der Burgschauspielerin Erika Pluhar verheiratet. Daraus ging die Tochter Anna Proksch (1962 - 1999, + Asthma) hervor. 1967 - 1968 war er mit Daphne Wagner, einer Urenkelin Richard Wagners verheiratet. Ab 1969 war er mit Ariane Glatz (nicht Gratz!) verheiratet. Proksch blieb zu vielen seiner Freundin auch nach dem Ende der Beziehung in Kontakt.
Nach der Schulzeit studierte Proksch von 1954 - 1958 eine Zeit lang ohne Abschluss an der Akademie für angewandte Kunst. Er war in der Meisterklasse für gewerblich-industrielle Entwürfe von Oswald Haerdtl.
Für den kreativen Macher Proksch war aber die Praxis geeigneter: Als Serge Kirchhofer entwarf er ab 1957 für die Firma Wilhelm Anger OHG (in Traun/OÖ bzw. im Atelier Kölnerhofgasse in Wien) Designerbrillen. Die Produkte erschienen unter dem Markennamen Serge Kirchhofer, Viennaline, Carrera und Porsche Design.
Udo Proksch trat trotz Vorbehalten gegenüber Bürgerlichkeit und Religion in den späten 60er-Jahren dem katholischen Opus Dei bei. Er gab auch die Zeitschrift Analyse heraus. Er bewies also Talente als Netzwerker, als dieser Begriff noch nicht so oft verwendet wurde.
Proksch entwickelte immer weitere Projekte.
1969/70 gründete er außerdem den "Verein der Senkrechtbegrabenen". Er wollte Tote in Plastikröhren einschweißen und senkrecht begraben lassen, um Platz zu sparen und natürlich um die Plastikindustrie anzukurbeln.
Bei solchen "Mätzchen" machten bereits diverse Prominente mit, darunter Helmut Zilk und Helmut Qualtinger sowie Erika Pluhar, seine erste Ehefrau.
Pluhar war österreichische Schauspielerin (auch am Burgtheater) und Tochter eines Nazibeamten im Generalgouvernement.
CLUB 45
Bekannter wurde Proksch aber durch einen anderen Coup: Ab dem Jahr 1972 wurde er Einzelprokurist bei der ehemaligen k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel. Hier gründete er den berühmt-berüchtigten Club 45, der als Treffpunkt für Entscheidungsträger in Politik und Kultur gedacht war und später durch Verwicklung in viele Skandale bekannt wurde.
Obwohl der Club 45 zunächst Politiker vieler Couleur anzog, galt er in den "roten 70ern" schnell als Hauptquartier der Sozialdemokratie (SPÖ).
Das Problem des Club 45 war, dass er verschiedene Séparées hatte, die für Verhandlungen und erotische Spielchen genutzt wurden.
Das verfestigte die Seilschaften, aber auch die Abhängigkeit und Erpressbarkeit.
Der Club 45 bekam sogar eine musikalische Widmung im Lied "Wiener Blut" von Falco ("Wir präsentieren Wien - Auch im Club 45 samma drin - Dort sind wir unter und dann sehr intim - Im Stehen, im Fallen, im Liegen ..."; 1988).
Jenseits des Demel-Gebäudes gab es noch weitere Gebäude, in denen Geschäfte bis hin zum Waffenhandel getätigt wurden.
CUM UND WEHRSPORTÜBUNGEN
Eine andere verrückte Idee war die Errichtung eines Sperrgebietes, dem dem man mit echten Waffen Krieg spielen können sollte. Proksch nutzte dazu gute Kontakte zu Politik und Militär und untermalte sein Vorgehen mit einer Ideologie, die dem Mann einen unausrottbaren Tötungstrieb zusprach (Thanatos). Einige Beobachter hielten das für inszenierte Spinnerei, aber man kann auch Verbindung zu Proksch Jugend im Nationalsozialismus ziehen. Proksch brachte seine pseudophilosophischen Darlegungen im Wiener Schmäh dar, obwohl er in Rostock geboren wurde.
Die Verbindungen von Proksch bis hin zum Verteidigungsminister Karl Lütgendorf (siehe Fotobelege!) brachten ihm Zugang zu Schusswaffen, Munition, Sprengstoff, Kraftfahrzeugen und wahrscheinlich sogar Kampfflugzeugen ein. Dies sollte ähnlich wie seine Verbindungen aus dem Club 45 später bei kriminellen Handlungen noch eine große Rolle spielen.
In Form gegossen entstand dann der Verein CUM (Civil und Militär). Dieser Verein verfügte über Lütgendorf über diverse "Leihgaben" wie Lkws und ausgemusterte Flugzeuge und konnte an diversen Orten Wehrsportübungen durchführen.
In Hochfilzen bei Kitzbühel in Tirol wurden z. B. auf einem Truppenübungsplatz Sprengübungen unter Aufsicht von Major Hans Edelmaier durchgeführt.
ESKALATION UND DER FALL LUCONA
Waren die Projekte, die Udo Proksch initiierte, am Anfang noch kreativ oder schlimmstenfalls spleenig, so entwickelten seine sie im Zusammenhang mit Spitzenpolitikern, Geschäftemachern und Militärs eine zunehmend kriminelle Dynamik.
Proksch kam auf zunehmend destruktivere Ideen und musste zur Finanzierung seiner Großprojekte immer höhere Risiken eingehen.
Proksch wurden Verbindungen zu Waffenhändlern und zur organisierten Kriminalität nachgesagt.
Im Jahre 1976 fädelte er einen Deal ein, der - mit Spätwirkung - das politische Gefüge der Republik Österreich erschüttern sollte:
Proksch charterte den Frachter Lucona, um eine auf 212 Millionen Schilling (> 15 Mio. Euro) versicherte "Uranerzmühle" zu verschiffen.
Hinter dem Transport einer Uranerzmühle stand aber etwas ganz anderes. Proksch wollte Versicherungsbetrug begehen und dabei den Frachter Lucona durch eine Sprengladung versenken. Dabei nahm er den Tod der Schiffsbesatzung billigend in Kauf.
Statt der Uranerzmühle hatte die Lucona nur Schrott geladen.
Die Lucona war bei der österreichischen Bundesländer-Versicherung versichert, die der konservativen ÖVP nahe stand und nach diversen Affären selbst in Schwierigkeiten war. (Hinweis: Lange Zeit galt Österreich als ein zwischen Schwarz/ÖVP und Rot/SPÖ aufgeteiltes Land.)
Bei diesem Deal halfen Proksch der aus Deutschland stammende Hans Peter Daimler, diverse Kontaktleute sowie wahrscheinlich die italienische Mafia.
Doch der Plan ging - aus Sicht von Proksch - schief: Der Frachter Lucona wurde zwar nach langer Fahrt auf dem Indischen Ozean versenkt (aber noch innerhalb der Frist der wahrscheinlich verwendeten Armeezeitzünder), doch die Besatzung und damit mögliche Zeugen ging nicht komplett mit dem schwimmenden Grab unter. Sechs Menschen starben, aber sechs weitere konnten durch einen Zufall überleben: Ein in der Nähe fahrendes Schiff empfing den Notruf und nahm sofort Kurs auf die sinkende Lucona.
Der Frachter sank zwar an einer Stelle des Indischen Ozeans, wo man nicht so schnell einen Kontrolltauchgang unternehmen konnte, allerdings meldete die Besatzung nach der Bergung den Behörden, dass der Frachter nach einem Knall erstaunlich schnell untergegangen war.
Dies ließ in Zusammenhang mit der erstaunlich hohen Forderung an die Versicherung Fragen offen.
Die Bundesländer-Versicherung hielt dann auch die Zahlungen zurück.
Der Skandal im Skandal ist jetzt aber, dass die Behörden über Jahre nichts oder wenig unternahmen. Man vermutete, dass dahinter Proksch gute Beziehungen in die Politik standen und wahrscheinlich noch Erpressungsmaterial (wohl Fotos und Filme von sexuellen Handlungen in Séparées des Club 45).
Wenn dann doch einmal ein paar mutige Ermittler Belastungsmaterial gegen Proksch und Konsorten gesammelt hatten, verschwand das Material überraschenderweise wieder, wurde zurückgehalten oder es tauchte gefälschtes Entlastungsmaterial auf.
Erst am 15.02.1985 kam es zur Verhaftung von Udo Proksch und Hans Peter Daimler wegen Betrugsverdachtes, aber schon am 28.02. wurden beide wieder auf freien Fuß gesetzt.
Trotzdem ging die Rechnung der Komplizen auf lange Sicht nicht auf.
Die Gründe waren:
- Einige investigative Journalisten ließen sich nicht einschüchtern.
Darunter sind zu nennen Gerald Freihofner und Hans Pretterebner. - Im österreichischen Parlament gab es Untersuchungsausschüsse, die sich immer stärker gegen ein "Abdrehen" wehrten. Einer der investigativen Anführer war der junge Peter Pilz, ein Gründungsmitglied der Grünen Österreich, der 2017 seine Partei nach einem Streit verließ und die eigene "Liste Pilz" gründete.
- Deutsche Gerichte, die gegen Hans Peter Daimler ermittelten und außerhalb der österreichischen Netzwerke minutiös ermitteln konnten.
Udo Proksch versuchte, sich durch eine Flucht ins Ausland der Verfolgung zu entziehen, während Anfang 1988 die offzielle Aufarbeitung des Falles erneut begann. Diesmal mit mehr Elan.
Im Untersuchungsausschuss wurden besonders Leopold Gratz (Nationalratspräsident, ehem. Bürgermeister von Wien) und Karl "Charly" Blecha (Innenminister) in die Zange genommen. Sie hatten Proksch Freilassung aus der Untersuchungshaft bewirkt und vielleicht noch viel mehr bis hin zur Fertigung gefälschten Entlastungsmaterials.
Im Januar 1989 hob das Nachrichtenmagazin profil den U-Ausschuss auf die Titelseite und lobte ausdrücklich Peter Pilz und seine Mitarbeiter. Peter Pilz war ruhig, aber entschieden gegen die belasteten Politiker vorgegangen und bewies, dass er über gute Kontakte verfügte.
Proksch selber wurde nach der Flucht durch Europa und Asien samt Gesichtsoperation in Manila (die aber wenig an seinem Äußeren veränderte) und gefälschter Identitäten wie Alfred Semrad am 02.10.1989 auf dem Flughafen Wien-Schwechat verhaftet.
Das Ende von Proksch schwerkrimineller Hanswurstiade kam dadurch, dass ein Tiefseetauchteam mit Robotern das Wrack auf dem Grund des Indischen Ozeans entdeckte und mit Aufnahmen der Explosionsstelle zweifelsfrei die Vorwürfe der Anklage bestätigte.
Die "Uranerzaufbereitungsanlage" war in Wirklichkeit eine große Kunststoffextruderanlage zur Ummantelung von Fernwärmerohren (Firma: Cincinnati Milacron, Wien-Penzing). Proksch hatte einmal für die Herstellerfirma gearbeitet und erwarb die Anlage acht Jahre nach ihrer Herstellung zum Schrottwert.
Mit diesem Beweismaterial begann einer der längsten Prozesse der (Zweiten) Republik Österreich, an dessen Ende Proksch im Jahre 1992 wegen sechsfachen Mordes und sechsfachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Am 27.06.2001 starb er in Haft an den Folgen einer Herztransplantation.
Proksch wurde auf dem Heiligenstädter Friedhof in Wien (Teil A, Gruppe TO, Nummer 26B) begraben.
Grab von Udo Proksch am Heiligenstädter Friedhof |
QUELLEN UND LITERATUR:
Wikipedia
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Hans Pretterebner: Der Fall Lucona. Ost-Spionage, Korruption und Mord im Dunstkreis der Regierungsspitze; Pretterebner, Wien 1987
[Selbstverlag nach Mauern anderer Verlage]
Helmut Schödel: Ein Staat braucht einen Mörder. Udo Proksch und die Lucona-Obsession; Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998
[gilt manchen als apologetisch]
Ingrid Thurnher: Auf den Spuren des Udo Proksch. Der Zuckerbäcker, der eine ganze Republik verführte; Ecowin, Salzburg 2011
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Dornhelm, Robert: Udo-Proksch-Out of Control; 2010
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Der Fall Lucona (Spielfilm); 1993
Proksch wird hier als Rudi Waltz von David Suchet gespielt.