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Dieser Universal-Blog ist aus einer Seite für Geschichte, Politik und Realienkunde hervorgegangen und wurde in Richtung Humanwissenschaften weiterentwickelt.
Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch; Latein, (Alt-)Griechisch; Russisch; Chinesisch, Japanisch; Arabisch; Mittelägyptisch; Hindi (Sanskrit) etc.
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Sonntag, 14. September 2025

MEINUNG/KOMMENTAR: DIE WELTWEITE SICHERHEITSLAGE IM JAHRE 2025

14.09.2025


Geopolitik (pixabay.com; Vilius Kukanauskas)


In den deutschen Medien wird viel über die militärische Lage in Osteuropa gesprochen.
Gleichzeitig berichtet man über den immer weiter eskalierenden Krieg um Israel.

Über die permanenten Kriege in Teilen Afrikas wird wenig gesprochen.
Auch nicht über die aus unserer Sicht riesengroße Kriegsgefahr in Ostasien.

Es ist Zeit, das einmal kurz zu kommentieren.
Zuerst einmal zum Ukrainekrieg...


0. VON GROẞEN UND KLEINEN KRIEGEN

Nach dem Kalten Krieg sagten viele, die Zeit der Großen Kriege sei vorbei, jetzt sei die Zeit der kleineren Militäroperationen, quasi wie "Weltpolizeioperationen", wenn man an das Werk "Empire" von Hardt/Negri denkt. (Wenn man die Weltherrschaftsstruktur als einziges Empire sieht, dann sind Kriege Teil der Innenpolitik und damit Polizeiaktionen.)

Das war aber nur vorübergehend so und auch nur deshalb, weil die USA die einzige verbliebene Weltmacht waren.
Es deutet sich seit einigen Jahren an, dass wieder eine Zeit der Großen Kriege heranbricht.

Als Hauptakteure sehen wir die USA, Russland und China. Als Hauptkonfliktlinie sehen wir die (gesamte) Küste Ostasiens.
Denkbar ist aber auch eine große Explosion um Indien herum, also Südasien, oder eine weitere Eskalation des Krieges in Osteuropa.


I. DER UKRAINEKRIEG IN OSTEUROPA

Bezüglich des Ukrainekriegs wird nicht nur die Grausamkeit des Krieges angesprochen, sondern auch immer wieder die Schuldfrage kontrovers diskutiert.
In den Medien wird meist die Haupt- oder Alleinschuld bei Russland gesucht.
Im Internet gibt es nicht wenige, die die Schuld bei Washington und Kiew suchen.

Aus unserer Sicht haben Machtpolitiker in den USA UND Russland den Konflikt schon seit Jahren eskaliert. Dabei ist das nicht die gesamte Machtelite oder gar das gesamte Volk, sondern bestimmte Gruppen von Kriegstreibern in den jeweiligen Ländern.


Die US-Seite

In den USA sind die Vorantreiber einer imperialen Politik v. a. die Neocons, einige traditionalle Konservative und Geostrategen wie der 2017 verstorbene Zbigniew Brzezinski.

Das Ziel der US-Außenpolitik - und aus friedenspolitischer Sicht ihr Fehler - war, dass man nach dem Ende des Kalten Krieges 1990/91 nicht Ruhe gab, sondern Russland weiter provozieren und damit in Schach halten wollte.

Zbigniew Brzezinski hat das in aller Deutlichkeit in seinen Büchern, Artikeln und in Interviews gesagt:

In "The Grand Chessboard" (1997) hat Bzezinski schon vor fast 30 Jahren geschrieben, dass die USA zur Wahrung ihrer führenden geopolitischen Stellung nach dem Kalten Krieg Russland überall um das Land herum reizen müssten. Eine besondere Rolle komme dabei der Ukraine zu, über die Russland seine Kontrolle verlieren müsse.
Brzezinski sah Eurasien als geopolitisches Schachbrett (Buchtitel!), auf dem die kommenden Machtkämpfe ausgetragen würden. Auf diesem sah er Russland mehr als Gegner als China (was viele Strategen in den USA anders sehen).
Europa und Japan sah er politisch-millitärisch nur als semi-autonom und als von den USA abhängig an. Südamerika und Afrika widmete er nur wenig Beachtung.

Brzezinski war ein Hardliner, eine Art demokratisches Pendant zum Republikaner Kissinger.
Biographisch hatte er subjektiv Gründe dafür: Sein Vater war polnischer Diplomat und wusste, wozu die frühe Sowjetunion gegenüber Polen fähig war. Daher kam sein Russland-Hass.

Man kann durchaus sagen, das Brzezinski die US-Außenpolitik für polnische Zwecke umfunktionieren wollte, so wie es die Neocons für Israel tun.
Dies brachte ihm besonders die Kritik der isolationistische Rechte in den USA ein, nämlich dass US-Blut für ein anderes Land geopfert werde.
Auf Seiten der Linken hat dies Michael Moore benannt.

Brzezinski hat schon im Kalten Krieg die Idee propagiert (wenn auch nicht er alleine), um die Sowjetunion herum einen islamischen "Green Belt" zu legen (und das Land im Westen durch Solidarnocs im katholischen Polen zu provozieren), um es zu schwächen.

Diese Strategie hat im Sinne eines Zusammenbruchs der Sowjetunion zwar funktioniert, aber über eine Million Menschenleben gekostet, riesige Gebiete verwüstet und den USA den antikommunistischen Zauberlehring beschehrt, der danach in Form von Bin Laden und anderen gegen seinen Meister USA selbst ziehen und schließlich das World Trade Center zum Einsturz bringen sollte.
Schon als die Sowjets sich aus Afghanistan zurückzogen, skandierten einige Rebellen, jetzt werde man auch die USA angreifen.

Der späte Brzezinski hat die Fehler seiner Politik, zumindest den "Imperial Overstretch", wenigstens etwas erkannt und in seinem Buch "Strategic Vision: America and the Crisis of Global Power" (2012) fünf Jahre vor seinem Tod 2017 auch benannt.

Man kann es selber daran sehen, dass in Teilen der USA (nicht im ganzen Land) die Infrastruktur verkommt, während man gleichzeitig in fast jedes Land der Erde einmarschieren kann (ob man es halten kann, steht auf einem anderen Blatt).


Die russische Seite

Auch auf Russland gibt es Hardliner und Propagandisten einer imperialen Politik.
Der Kreis um Putin ist bekannt dafür.
Das geopolitische "Pendant" zu Zbigniew Brzezinski ist Alexander Dugin.

Der Punkt ist, dass Russland sich zwar einerseits durch die NATO-Erweiterungen bedroht fühlt, andererseits aber selber Provokationen inszeniert, um einen Kriegsvorwand zu haben.

Im Jahre 1999, als Putin noch Präsidentschaftskandidat und kaum bekannt war, explodierten in und um Moskau Wohnhäuser. Dadurch starben ungefähr 300 Menschen.
Zusätzlich kam es zu Zwischenfällen in Dagestan.
Putin wurde dadurch zum einen Präsident und hatte zum anderen einen vermeintlichen Kriegsgrund, Tschetschenien anzugreifen, dass nach dem vorangegangenen Ersten Tschetschenienkrieg zwar autonom, aber nicht unabhängig war.

Das Problem ist aber folgendes: Es bestehen größte Zweifel, ob die Anschläge auf Moskauer Hochhäuser und die Zwischenfälle in Dagestan wirklich von Tschetschenen ausgingen.
Folgendes ist zu beachten:

  • in einem Fall ging eine Hochhausbombe nicht hoch, weil ein aufmerksamer Anwohner drei Personen beobachtete, die Sprenggranulat in Säcken in den Keller des Hauses trugen;
    der Anwohner informierte die Polizei
  • die Polizei nahm aber keine Tschetschenen fest, sondern zwei Männer und eine Frau, die sich als Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB herausstellten
  • die Sprengstoffgranulat-Säcke für die Hochhaussprengungen waren als Zuckersäcke gekennzeichnet (später auch "Ryazan Sugar" genannt);
    in Kasernen gab es Soldaten, die an diesen angeblichen Zuckersäcken naschten, das Granulat ausspuckten und dann im Labor untersuchen ließen;
    dadurch kam heraus, was es wirklich war
  • Alexander Litwinienko, der selber Insiderinformationen hatte und um sein Leben fürchtend nach Großbritannien flüchtete, veröffentlichte über diverse False-Flag-Operationen das Buch "Blowing Up Russia"
  • danach wurde er mit radioaktivem Polonium vergiftet 

Man sieht an solchen Dingen, dass auch Russland falsch spielt.
Es reagiert nicht nur auf ausländische Provokationen, sondern schafft selber welche, die dann als Vorwand dienen, in Nachbarländer einzuwirken (z. B. durch Bestechung, Bedrohung und Geheimdienstmorde) und notfalls auch einzumarschieren.









Sonntag, 7. September 2025

MEINUNG/KOMMENTAR: DIE MENSCHHEITSGESCHICHTE AN SICH

07.09.2025

pixabay.com (Piyapong Saydaung)


Wenn man sich die Menschheitsgeschichte anschaut, dann war es auch immer eine Geschichte der Instabilität.

Immer wieder wollten macht- und ruhmsüchtige Herrscher etwas erobern und an sich reißen. Manchmal gelang es, manchmal überschätzten sie sich dabei.

Das "einfache Volk" war manchmal unwillig, ihnen zu folgen, weil für die einzelnen Menschen und die Familien viel auf dem Spiel stand, manchmal ließ sich das Volk auch mitreißen.

Selten gelang es, einfach einen ruhig funktionierenden Status Quo zu halten.
Manchmal gelang es auf Zeit und in einer begrenzten Region.

Man mag auch an den berühmten Satz aus Blaise Pascals "Gedanken" denken:
"Alle Probleme der Weltgeschichte kommen nur daher, dass die Menschen nicht ruhig hinter ihrem Tisch sitzen können (in einem Zimmer bleiben)."

In großen Teilen Europas gab es nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1945 eine lang anhaltende Friedensperiode, in der eine große Infrastruktur aufgebaut werden konnte.
Doch diese Phase des Friedens wirkte nicht übrerall:

  • auf den Zweiten Weltkrieg folgte der Kalte Krieg mit der ständigen Gefahr atomarer Zerstörung
  • weltweit gesehen war die Zeit nach 1945 keineswegs überall eine Friedenszeit
  • auch in Europa selbst herrschte nicht überall Frieden:
    in Teilen Osteuropas gingen die Kampfhandlungen nach 1945 weiter (ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg);
    das Ende des Kalten Krieges wäre auch in Europa beinahe blutig geworden;
    nach dem Ende des Kalten Krieges brach auf dem Balkan der Yugoslawienkrieg aus

Insgesamt gesehen wäre es "normativ" besser, wenn man andere Ziele formulieren und angehen würde:

  • weltweite Verbesserung des Wohlstandes
  • Weiterentwicklung der Medizin zum Wohle aller
  • Vermeidung von "Modernisierungsfallen" wie Übertechnisierung, Überkomplexität, Entfremdung und unsinniger Beschleunigung
    (das bedeutuet nicht: Technikfeindlichkeit)
  • gegebenenfalls Besiedlung anderer Planeten oder Monde
  • Freibier für alle! 

 

Donnerstag, 28. August 2025

EMPIRE - DIE NEUE WELTORDNUNG

28.08.2025


"Empire - die neue Weltordnung" ("Empire. Globalization as a new Roman order, awaiting its early Christians") ist ein 2000 (dt. 2002) erschienenes Buch von Michael Hardt und Antonio Negri, das die Weltordnung zu Beginn des 21. Jhd.s beschreiben möchte.
Das Werk beschäftigt sich mit den Auswirkungen der (angeblichen) Globalisierung und postuliert, dass es auf der Welt die Tendenz gäbe, dass sich statt mehrerer Imperien (Großreiche) ein einziges Imperium, dass Empire, bilde. Souverän seien dann nicht mehr die Nationalstaaten, sondern das Kapital selber.

Diese Grundthese, die von Philosophen wie Slavoj Žižek gelobt wurde, wurde auch von einigen Intellektuellen kritisiert. Zum einen ist strittig, auf welche Aspekte der Gesellschaft sich überhaupt Globalisierungstendenzen beziehen - denn weltweite Handelsbeziehungen gab es schon zur Zeit der Entdeckungen seit dem späten 15. Jhd. - und ob sich statt der "herkömmlichen" Imperien wirklich ein Empire bildet. 
Sicher gibt es international ähnliche Herrschafts- und Geschäftsstrukturen. Andererseits ist es aber so, dass sich klassische Imperien wie die USA, Russland, China oder künftig weitere Imperien eher auf ihre eigenen Kräfte verlassen oder sogar zueinander in Konkurrenz stehen, anstatt sich gemeinsam zu einem großen Empire zu transformieren.
Generell ist zu beobachten, dass das von einigen Forschern prognostizierte Absterben der Nationalstaaten - großen wie kleinen - nicht eingetreten ist und wahrscheinlich vorerst auch nicht eintreten wird. Inzwischen, also seit den 2010er-Jahren und spätestens seit der Ersten Präsidentschaft von Donald Trump diagnostizieren viele Analysten eher eine Re-Nationalisierung.

Inzwischen sind weitere Bände erschienen:

  • Multitude - Krieg und Demokratie im Empire
  • Common Wealth - Das Ende des Eigentums 


INHALT

Empire will die Weltordnung an der Wende vom 20. zum 21. Jhd. beschreiben und erklären.
Hardt/Negri sehen den Imperialismus als (zugespitztes) Stadium des Kapitalismus' als überwunden an. Stattdessen sei der Souverän nicht mehr die Nationalstaaten selber, sondern das Kapital. Dieses verfüge über drei Machtinstrumente:

  • die Atombombe
  • das Geld
  • den "Äther" (transnationale Kommunikationssysteme) 
Die Macht hat jetzt angeblich kein eindeutiges Zentrum mehr. Sie ist überall.

Die Macht herrscht jetzt auf eine andere Art und Weise:
  • die Macht durchzieht das Leben mit Biomacht (Michel Foucault, Giorgio Agamben)
  • die Nationalstaaten verlieren an Bedeutung
  • Kriege werden zu Polizeiaktionen
  • es wird immateriell und vernetzt produziert (immaterielle Arbeit)
  • Institutionen der Disziplinargesellschaft nach wie Schule, Gefängnis, Klinik (vgl. Louis Althusser, Michel Foucault) verlieren ihre Begrenzung und werden über die ganze Gesellschaft ausgedehnt 
Es entsteht eine allgemeine und ubiquitäre Kontrollgesellschaft:
  • Sprachverhältnisse
  • militärische Einheiten
  • Muster der Migration
  • soziale Bewegungen
  • Firmen
  • physiologische Strukturen
  • persönliche Beziehungen 
Das Empire umfasst die ganze Welt, das ganze Leben und kennt kein Außen mehr.

Es kennt verschiedene Subjektformen, flache Hierarchien und einen extremen Austausch in Computernetzwerken.
 
Negri/Hardt sehen aber auch Begrenzungen: Das Empire sei gezwungen, auf Aktionen der "Multitude" (Vielheit, Menge; lat. multitudo) zu reagieren. Sie erschaffe es erst durch ihre Kreativität und Produktivität, so dass es von ihr abhängig sei.

Der Begriff Multitude ist im Buch Empire nicht ganz präzise definiert. Im Buch "Multitude - Krieg und Demokratie im Empire" wird dies genauer ausgeführt.
Historisch zurückführen lässt sich der Begriff Multitude (multitudo) auf Cicero (De re publica), Spinoza (Multitudo) und Gilles Deleuze (Rhizom). 


GEGENMAẞNAHMEN

  • da das Empire problematische Züge trägt, sind Gegnmaßnahmen sinnvoll
  • da es kein Außen mehr gibt, sollte man sich auch auf keinen Standpunkt außerhalb des Empires beziehen (sondern aus seinem Inneren heraus agieren)
  • die Multitude sollte zu sich selbst kommen und das (parasitäre) Empire abwerfen
  • Hardt/Negri halten aber das Ziel eines (positiv gesehenen) Kommunismus' für erreichbar
  • es müssen drei Rechte durchgesetzt werden:
    • Weltbürgerschaft
    • sozialer Lohn
    • Wiederaneignung 
  • Hardt/Negri entwerfen die Utopie eines "Gegen-Empires":
    in diesem sei ein "neuer Mensch" möglich und die ges. Zustände seien besser;
    körperliche Transformationen wie Piercings und Tätowierungen seien hierfür bereits erste Vorboten


REZEPTION


Die Rezeption des Buches war stark divergierend.
Zum einen schlug es mit seiner Thematik auf dem Büchermarkt und in öffentlichen und akademischen Diskussionen ein.

Slavoj Žižek lobte es als "Kommunistisches Manifest des 21. Jahrhunderts". In der damaligen Anti-Globalisierungsbewegung galt es vielen als "Bibel der Globalisierungskritik".
Das Buch erschien immerhin rund 10 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und technisch zu einer Zeit, in der sich das 1993 für die Allgemeinheit freigegebene WWW weltweit durchsetzte. Smartphones benötigten aber noch ein knappes Jahrzehnt, um aufzutrumpfen.

Es gab aber auch eine Reihe von Kritikern.
Jörg Lau monierte in der ZEIT das "pseudowissenschaftliche Gedröhne" und ein Übermaß an Pathos (zuviel Nietzscheanismus, zuviel Befreiungskitsch). Nach Lau gehe es auch darum, nicht eingetroffene marxistische Prognosen mit dem Befund eines real weiter existierenden Kapitalismus' zu versöhnen.
Der US-Historiker Matthew Connolly bezeichnete das Buch 2006 als "413 Seiten voller Plattitüden".

In der deutschen Linken Presse wie "konkret" oder "Jungle World" wurde das Buch Empire auch tendenziell negativ dargestellt. Aus Sicht der Autoren bediene und schaffe es zum einen eine Mode und zum anderen habe sich empirisch gesehen gar nicht so viel am herrschenden System geändert.
Andreas Benl leitet seinen Artikel in der Jungle World im September 2002 ein:
"Mit ihrem Buch »Empire« haben Antonio Negri und Michael Hardt anscheinend ein Standardwerk für die Antiglobalisierungsbewegung geschrieben. Das Buch erfüllt ein linkes Bedürfnis. Schließlich gibt es kaum noch Wälzer, die den Anspruch einer globalen Kapitalismuskritik erheben. Außerdem erscheint Hardt/Negris Beschreibung der »Neuen Weltordnung« origineller als das, was auf diesem Gebiet üblicherweise noch geboten wird."
Und weiter:
Nach einem vierhundertseitigen Durchgang durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, nach dem Lob der kapitalistischen »Deterritorialisierung« und der Kritik des linken Antiimperialismus sind Hardt/Negri schließlich bei einer philosophischen Begründung der Forderung angekommen, die Attac im Namen trägt. Damit die Wertproduktion gerecht weitergehen kann, müssen Korruption und Spekulation bekämpft werden. Hardt/Negris Kommunismus entpuppt sich als religiös inspirierter Kommunitarismus.

Unabhängig von diesen scharfen Polemiken kann man aber gegen das Werk einwenden, dass es zwar gewisse Entwicklungen hin zu einem von Hardt/Negri beschriebenen Empire geben mag - oder um 2000 gegeben hat, dass aber die Stärke und Souveränität der Nationalstaaten und insbesondere der Imperien (Großreiche) keinen wirklichen Dämpfer erhalten hat. Gerade die USA, Russland und China treten seit dem frühen 21. Jhd. immer nationalistischer und imperialistischer auf.


QUELLEN/LITERATUR:

Wikipedia
-
Benl, Andreas: Ein Reich komme. "Empire" befriedigt das Bedürfnis nach linker Welterklärung, erklärt aber wenig; in: Jungle World, 04.09.2002
Hardt, Michael/Antonio Negri: Empire. Globalization as a new Roman order, awaiting its early Christians; 2000
Hardt, Michael/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung; Frankfurt/Main 2002 (Campus)
Hardt, Michael/Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire; Frankfurt/Main 2004 (Campus)
Hardt, Michael/Antionio Negri: Common Wealth. Das Ende des Eigentums; Frankfurt/Main 2010 (Campus)




Dienstag, 26. August 2025

MICHAEL BAIGENT

26.08.2025 (...)

Baigent, Michael und Leigh, Richard: Verschlusssache Jesus. Die  Qumranrollen und die Wahrhei ... - Versand-Antiquariat  www.buecher-boerse.com
Verschlussache Jesus.
Die Qumranrollen und die Wahrheit über das frühe Christentum
(1991)




* 27.02.1948 in Nelson, Neuseeland
+ 17.06.2013 in Brighton, England

Michael Baigent war ein britisch-neuseeländischer Autor.
Seine Bücher beschäftigten sich oft mit historisch-mythologischen Themen wie dem frühen Christentum, den Templern, den Freimaurern, dem Zweiten Weltkrieg oder Machtkämpfen innerhalb der katholischen Kirchen. Er schrieb oft mit Koautoren.
Gegnern werfen Baigent Effekthascherei, Pseudohistorismus oder einen Hang zu Verschwörungstheorien vor.

-

JUGEND

Michael Feran Meritxell Baigent wuchs in Neuseeland in einer religiösen Familie auf. Baigent wurde in Nelson geboren, wuchs dann aber in der Nähe in Motueka und Wakefield auf.
Da seine Eltern aber verschiedenen Konfessionen angehörten, verglich er die Atmosphäre mit Nordirland, wo es früher (z. T. noch heute) zu schweren religiösen aber auch ethnischen Kämpfen kam.
Baigents Vater war ein überzeugter Katholik und indoktrinierte seinen Sohn, seit er fünf wurde. Trotzdem verließ er die Familie, als Michael acht war.
Dann kam Baigent in die Obhut seines Großvaters mütterlicherseits, Lewis Baigent. Sein Ur-Großvater Henry Baigent war Bürgermeister und hatte einen Forstbetrieb gegründet.


STUDIUM UND JOURNALISTISCHE ANFÄNGE

Nach der Schule studierte Michael Baigent an der University of Canterbury in Christchurch Vergleichende Religionswissenschaft, Philosophie und Psychologie und schloss 1972 mit einem B. A. in Psychologie ab (hierzu gibt es verschiedene/abweichende Darstellungen).
Anfangs wollte oder sollte er ein naturwissenschaftliches Studium absolvieren, um später auch in die Forstwirtschaft einsteigen zu können.
Nach seinem Abschluss bereiste er die Welt und versuchte sich als Journalist. In Laos war er Kriegsphotograph und in Spanien Modephotograph.
Schließlich zog er 1976 mit seiner Familie nach England. Dort arbeitete er für die BBC als Photograph und arbeitete zusätzlich in einer Softdrinkfabrik auf Nachtschicht.
Baigent lernte bei der BBC Richard Leigh kennen, der gerade an einer Dokumentation über die Tempelritter arbeitete. Später sollten beide des öfteren kooperieren.
Baigent und Leigh trafen sich außerdem noch mit Henry Lincoln (Soskin).


WERKE MIT RICHARD LEIGH UND HENRY LINCOLN

The Holy Blood and the Holy Grail (Der Heilige Gral und seine Erben)

Das Autorentrio Baigent/Leigh/Lincoln fuhr nach Frankreich und recherchierte zu der Rennes-le-Château-Sage. In dem 1982 veröffentlichten Buch "The Holy Blood and the Holy Grail" ("Der Heilige Gral und seine Erben") arbeiteten sie diese Sage für ein Massenpublikum auf. Nachdem das Werk in den 1980ern einigen Erfolg erzielt hatte, wurde den Autoren aber bald vorgeworfen, es aus lauter Sensationslust mit den Fakten nicht so genau zu nehmen.

Die Kernthese war, dass die Suche (quest) nach dem Heiligen Gral daher komme, dass Jesus und Maria Magdalena miteinander ein Kind hatten, dessen Nachfahren später in die fränkische Königsdynastie der Merowinger einheirateten.
Gleichzeitig sollen die Nachfahren mit der (Geheim-)Gesellschaft der "Prieuré de Sion" verbunden gewesen sein.
Die Theorie, dass Jesus und Maria Magdalena eine körperliche Beziehung hatten, beruht auf Baigents Interpretation des "heilgen Kusses" auf seinen Mund, der im Frühchristentum nur unter Männern üblich war und einer behaupteten "spirituellen Ehe", wie sie im Evangelium des Philip beschrieben wurde.
Diese These wurde aber schon vorher von Laurence Gardner und Margaret Starbird vertreten.


The Messianic Legacy

1986 veröffentlichten Michael Baigent, Richard Leigh und Henry Lincoln "The Messianic Legacy".


WERKE MIT RICHARD LEIGH


Ab dem Jahre 1989 publizierten Baigent und Leigh mehrere Bücher als Autorenduo.


The Temple and the Lodge

In diesem Werk von 1989 behaupten Baigent Leigh, dass der Templer-Orden nicht einfach im Mittelalter ungegangen sei, sondern in einigen Elementen in die Freimaurerei eingegangen sei.

Nach dem Versuch des Französischen Königs, den Templerorden zu zerschlagen, seien einige Templer nach Schottland geflohen und hätten dort die Unabhängigkeitsbewegung unterstützt.

Außerdem hätten sie mit Hilfe freimaurerischer Bünde überlebt, und zwar:

  • Jacobite Freemasonry to Strict Observance
  • Grand Orient of France.

Des weiteren behaupten die Autoren, die Freimaurerei habe den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg unterstützt - und zwar nicht nur auf US-amerikanischer Seite, sondern auch dadurch, dass sie auf britischer Seite schlechte militärische Entscheidungen getroffen hätten wie Howe und Cornwallis.


The Dead Sea Scrolls Deception
(Verschlusssache Jesus)



Anfang der 1990er-Jahre war das Thema der "Qumran-Rollen" vom Toten Mehr wieder en vogue.

Der Hintergrund: Zwischen 1947 und 1956 wurden in elf Felshöhlen in der Nähe von Khirbet Qumran am Nord-West-Ufer des Toten Meeres (Westjordanland) die weltbekannten Schriftrollen von Qumran entdeckt. Der Fund umfasste Fragmente von ungefähr 900 Schriftrollen aus dem antiken Judentum. Zeitlich wird der Fund zwischen dem 3. Jhd. v. Chr. und dem 1. Jhd. n. Chr. eingeordnet.
Unter diesen Texten befinden sich etwa 200 Abschriften alttestamentlicher Bücher, die seitdem als bislang älteste bekannte Bibelhandschriften gelten.
Später fand man noch weitere antike Schriftrollen in Höhlen in der Nähe des Westufers des Toten Meeres.

Zu diesem Thema publizierte das Autorenduo Baigent/Leigh 1991 "The Dead Sea Scrolls Deception", das auf deutsch "Verschlusssache Jesus" hieß.
Das Werk verfehlte seine Wirkung nicht. Aber gerade in Deutschland schlug es ein wie eine Bombe. Hinzu kam noch, dass 1992 das "Jahr der Bibel" war!
Mit "Verschlusssache Jesus" von 1991 führte das Autorenduo Baigent/Leigh von Dezember 1991 bis November 1992 die Spiegel-Bestsellerlisten (oder deren Vorläufer) an. In damaligen Buchläden sah man das Werk fast überall in der Auslage (wenn es keine theologischen Bedenken gab).
 
In dem Werk vertreten die Autoren abweichende Thesen zu den Qumran-Rollen, stützen sich aber ihrerseits bereits auf früher geäußerte Thesen, insbesondere von Robert Eisenman & Co.
So haben Robert Eisenman und Michael Wise ähnliche Thesen bereits früher vertreten, aber erst 1993 mit "Jesus und die Urchristen" in Deutschland publiziert.
In beiden Werken ging es um angeblich sensationelle Enthüllungen zu den Qumran-Rollen. 
Michael Baigent und Richard Leigh vertreten zum einen die These, Paulus habe die Botschaft Jesu verfälscht. Die angeblich wahre christliche "Urgemeinde" sei aber in den Qumran-Rollen beschrieben, die Baigent/Leigh dafür extra anders (später) datierten.
Zum anderen behaupteten sie, unter der Führung des Vatikans gäbe es eine Verschwörung, die Schriftrollen im eigenen Sinne "gefärbt" herauszugeben und einige der Öffentlichkeit ganz vorzuenthalten.
Eisenman und Wise veröffentlichten in "Jesus und die Urchristen" 1993 mehrere kaum bekannte Texte aus Höhle IV und wollten beweisen, dass der "Lehrer der Gerechtigkeit" aus den Qumran-Rollen identisch mit Jakobus, dem Verfasser des Jakobusbriefes (und angeblichen Bruder Jesu) sei.
(Robert Eisenman ist Professor für Religion und Archäologie des Nahen Ostens und Bruder des weltbekannten dekonstruktivistischen Architekten Peter Eisenman.)
In diese Diskussion Anfang der 1990er-Jahre griff auch die australische Theologin und Feministin Barbara Thiering mit dem Werk "Jesus von Qumran" ein.

Die Thesen von Baigent/Leigh (die sich ihrerseits z. T. auf Eisenman/Wise stützten) wurden in der Fachwelt stark angegriffen. Als Beispiel seien hier Otto Betz und Rainer Riesner genannt, die in "Jesus, Qumran and The Vatican: Clarifications" von 1994 viele der zum Thema gemachten Thesen aus ihrer Sicht richtig stellten.


Secret Germany: Claus Von Stauffenberg and the true story of Operation Valkyrie, 1994


The Elixir and the Stone: The Tradition of Magic and Alchemy, 1997



The Inquisition, 1999




WEITERES VORGEHEN

Man erkannte mit der Zeit die Stoßrichtung von Baigents Werken:
Es ging um historisch-mythologische Themen wie das frühen Christentum, die Templer, die Freimaurer, der Zweiten Weltkrieg, die katholische Kirche und andere Glaubensgemeinschaften.
Immer wieder ging es auch um Machtkämpfe innerhalb von Netzwerken und um deren verschwörerische Wirkung nach außen.
Neben Büchern arbeitete Baigent an Fernsehdokumentationen.

Im Jahre 1999 oder 2000 erwarb Michael Baigent noch einen M. A.-Abschluss in "Mystizismus und Religiöser Erfahrung" an der University of Kent. Seine Arbeit lautete "A Renaissance symbol: the meaning of the triangle containing the Hebrew name of God." 

Danach trat er selber Netzwerken bei und wurde als Freimaurer 2005 "Grand Officer of the United Grand Lodge of England". Gleichzeitig gab er das Magazin "Freemasonry Today" von 2001 - 2011 heraus, setzte sich aber für Liberalisierungen in der Freimaurerei ein.

Gleichzeitig warnte Baigent in den letzten Jahren seines Lebens vor dem (Wieder-)Erstarken einer zu fundamentalistisch interpretierten Religiosität.


PROZESS GEGEN DAN BROWN

Einige der Ideen aus "The Holy Blood and the Holy Grail" wurden später in Dan Browns Bestseller "Der Da Vinci Code" verwendet.

Dan Brown nannte einen führenden Akteur im Buch "Sir Leigh Teabing", der Königlich-Britischer Historiker und Mitglied mächtiger Gesellschaften war.
Teabing ist ein Anagram von (Michael) Baigent und Leigh der Nachname von (Richard) Leigh.

Baigent und Leigh zogen im März 2006 im Vereinigten Königreich vor Gericht und gingen insbesondere gegen Random House vor.
Zeitgleich veröffentlichte Baigent das Werk "The Jesus Papers", dem aber vorgeworfen wurde, dass es erstens nur die schon vorgebrachten Thesen von "The Holy Blood and the Holy Grail" wieder aufwärme und zweitens die Publicity des Gerichtsprozesses gegen Brown nutze.
(Baigent behauptete dagegen im Nachwort des Buches, die Veröffentlichung sei schon viel früher geplant gewesen.)

Am 07.04.2006 wies der Richter des High Court, Peter Smith, den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung von Baigent und Leigh zurück. Am 28.03.2007 verloren beide auch noch in der Berufung und mussten ungefähr 3 Mio. £ an Gerichtskosten zahlen.


PRIVATLEBEN

Baigent heiratete 1983 seine Frau Jane. Mit ihr hatte er zwei Töchter.
Aus einer vorherigen Ehe seiner Frau hatte er einen Stiefsohn und eine Stieftochter.

Im Juni 2013 starb Baigent mit 65 Jahren an einer Hirnblutung.


QUELLEN/LITERATUR:

Wikipedia
-
mit Richard Leigh, Henry Lincoln: Der Heilige Gral und seine Erben. Ursprung und Gegenwart eines geheimen Ordens. Sein Wissen und seine Macht. Lübbe, Bergisch Gladbach 1984

mit Richard Leigh, Henry Lincoln: Das Vermächtnis des Messias. Auftrag und geheimes Wirken der Bruderschaft vom Heiligen Gral. Lübbe, Bergisch Gladbach 1987

mit Richard Leigh: Der Tempel und die Loge. Das geheime Erbe der Templer in der Freimaurerei. Lübbe, Bergisch Gladbach 1990

mit Richard Leigh: Verschlußsache Jesus. Die Qumranrollen und die Wahrheit über das frühe Christentum. Droemer Knaur, München 1991

mit Richard Leigh: Geheimes Deutschland. Stauffenberg und die Hintergründe des Attentats vom 20. Juli 1944. Droemer Knaur, München 1994

Das Rätsel der Sphinx. Sensationelle Spuren einer Zivilisation zwei Millionen Jahre vor unserer Zeit. Droemer Knaur, München 1998

Das Geheimnis der Templer. Droemer Knaur, München 2000 (Roman)
mit Richard Leigh: Verschlußsache Magie. Der Einfluß von Mythen und Mysterien auf unser Leben. Droemer Knaur, München 2000

Spiegelbild der Sterne. Das Universum jenseits der sichtbaren Welt. Droemer Knaur, München 2001

mit Richard Leigh: Als die Kirche Gott verriet. Die Schreckensherrschaft der Inquisition von ihren Ursprüngen bis in die Gegenwart. 3. Auflage. Lübbe, Bergisch Gladbach 2002

Die Gottes-Macher. Die Wahrheit über Jesus von Nazareth und das geheime Erbe der Kirche. Lübbe, Bergisch Gladbach 2006
-
https://www.fbibel.de/verschlusssache-jesus-a10910.html
https://www.geistlicher-felsen.de/die-qumran-rollen-schriftrollen-vom-toten-meer


Sonntag, 24. August 2025

PIER PAOLO PASOLINI

17.08.2025 - 24.08.2025

Pier Paolo Pasolini (Quelle: pixabay.com; hafteh7)

Pier Paolo Pasolini war ein italienischer Regisseur von Weltruhm und gleichzeitig investigativer Journalist und Gesellschaftskritiker.
Er fand unter mysteriösen Umständen in Ostia den Tod.

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JUGEND IN BOLOGNA

Pier Paolo Pasolini wurde 1922 in Bologna geboren.
Zu seinem Vater, einem italienischen Offizier, hatte er kein gutes Verhältnis. Zu seiner künstlerisch interessierten Mutter schon eher.

Pasolini wuchs in Bologna in einer Stadt voller Bildung und Kunst auf.

Pasolini interessierte sich früh für Kunstgeschichte und schrieb sich nach der Schule für dieses Fach ein. Sehr früh betätigte er sich auch als Journalist und Schriftsteller.
Die Filmemacherei, für die er später berühmt werden sollte, wurde erst spät sein Metier.


ERSTE SCHRIFTSTELLERISCHE WERKE

Pasolini dichtete schon in den 1940er-Jahren Gedichte im friaulischen Dialekt (publiziert 1954 als "La meglio gioventù"/"Die beste Jugend").
1950 siedelte er nach Rom über und veröffentlichte den Gedichtband "Le ceneri die Gramsci"/"Gramsci's Asche" (1957).
1955 veröffentlichte Pasolini den erfolgreichen Roman "Ragazzi di vita" (auf dt. bei Wagenbach). Der auch sprachlich experimentelle Roman enthält Erzählungen über Jugendliche aus dem römischen Subproletariat. Der Nachfolgeroman über diese Schicht von 1959 hieß "La vita violenta".
Der archaische Kampf ums Überleben dieser subalternen Klassen, in denen Pasolini aber auch sprachliche und körperliche Vitalität erkennen wollte, faszinierte den Autor. Er beschrieb den Kampf vor den Kulissen des traditionellen wie auch des modernen Roms. Die "ewige Stadt" wird als Metropole wahrgenommen, die aber auch mit ihrer Peripherie kommuniziert.
Pasolini sah diese Welt nicht nur aus seiner eigenen subjektiven Erfahrung, sondern auch durch das Schema eines Marxismus und Neorealismus.


EINSTIEG IN DIE FILMBRANCHE

Anfang der 1960er-Jahre geriet Pasolini jedoch in eine Schaffenskrise. Viele schriftstellerischen Ansätze waren erschöpft. Die Lösung des Problems bestand für ihn in der Hinwendung zum Film.
Er wollte jetzt "Die Realität mit der Realität ausdrücken". 1961 drehte er den Film "Accattone". Pasolini ging autodidaktisch vor. Er hatte wertvolle Ideen, musste sich die Beherrschung der Filmtechnik aber erst aneignen. Accattone war ein Überraschungserfolg.
1962 folgte "Mamma Roma" (mit Anna Magnani), 1964 "Das 1. Evangelium - Matthäus" und 1967 "Edipo Re - Bett der Gewalt" (mit Silvana Mangano). Daneben entstanden weitere kleine Produktionen.

In der 2. Hälfte der 1960er-Jahre veränderte sich allmählich Pasolinis Betrachtungsschwerpunkt: Er sah, dass sich die italinische Gesellschaft von einer Agargesellschaft zu einer "neokapitalistischen" Industriegesellschaft verändert hat.
Pasolini bekannte eine bourgeoisen Vereinheitlichung hin zu einer modernen Arbeits- und Konsumgesellschaft. Auch althergebrachte politische Gegensätze sah er zunehmend vor diesem Hintergrund: Neofaschisten wie junge Antifaschisten schienen beide im Konsumismus vereint zu sein. Es ging nicht mehr wirklich darum, ob man zu Mussolinis Zeiten zurückkehren wollte oder nicht.
1968 erschien "Teorema" ("Teorema - Geometrie der Liebe"), 1969 "Porcile" ("Der Schweinestall"), 1970 - 1974  die "Trilogie des Lebens" und 1975 der hochumstrittene Film "Salò - oder die 120 Tage von Sodom". Mit Salò war die Republik von Salò gemeint, ein umgangssprachlicher Begriff für die Italienische Sozialrepublik (RSI) in Norditalien. Im Jahre 1943 wurde Diktator Mussolini von seinem eigenen Rat für abgesetzt erklärt und auf dem Gran Sasso festgesetzt. Dort wurde er durch ein Kommanduunternehmen der SS befreit und zum Staatsoberhaupt der RSI in Norditalien erklärt. Süditalien war schrittweise von den Alliierten erobert worden. Die Führung des Deutschen Reichs und der mit ihr noch verbündete Teil der italienischen Faschisten hofften so - letztendlich vergeblich - das Vordringen der Alliierten aufhalten zu können.


HÖHEPUNKT DES SCHAFFENS UND TOD

Der Film "Salò - oder die 120 Tage von Sodom" beschriebt verschiedene Formen des menschlichen Sadismus und der Repression:
Einmal den Sadismus der bereits erwähnten Republik von Salò (RSI).
Dann den Sadismus, wie er im Werk "Die 120 Tage von Sodom" von Marquis de Sade beschrieben wird.
Und drittens den Sadismus der bereits aufziehenden modernen Konsumgesellschaft.
Pasolini greift besonders die Bourgeoisie an, der er die Verwirklichung eines neuen Systems der Repression und die Vernichtung soziokultureller Vielfalt vorwirft.

Es ist wahrscheinlich, dass dieser Film zusammen mit Pasolinis neu erwachter Begeisterung für den politisch-kritischen Journalismus sein Ende besiegelte.

Pasolini veröffnete in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre eine Reihe hochbrisanter Schriften, von denen einige aber erst nach seinem Tod erschienen sind:

  • Scritti corsari (Freibeuterschriften), 1975 (dt. bei Wagenbach)
  • Lettere Luterane (Lutherbriefe), 1976 posthum
  • Petrolio, 1976 zur Veröffentlichung angedacht, unvollendet 

Besonders mit seinem letzten Film und mit der geplanten Schrift "Petrolio" verärgerte Pasolini die Mächtigen Italiens. Die Werke zielten auf die Bourgeoisie, aber damit auch auf ihr willfährige Politiker und beider Netzwerkbeziehungen zum Sicherheitsapparat und zur Mafia.
Petrolio sollte die genauen Beziehungen der italienischen Energiewirtschaft zu anderen mächtigen und oft kriminellen Akteuren aufzeigen.


Pasolini starb in der Nacht vom 1. auf den 2.11.1975 in Ostia. Er wurde körperlich angegriffen und wohl mehrfach mit einem Auto angefahren. Zuerst vermutete man entweder einen Unfall oder einen Streit im Strichermilieu. Ein junger Mann bekannte sich der Tat bald schuldig.
Es deutet aber vieles darauf hin, dass Pasolini in Ostia in eine Falle gelockt und dann von mehreren Männern getötet wurde. Im Auto fand man auch später diverse Genspuren, als die entsprechenden Tests dafür zur Verfügung standen.

QUELLEN UND LITERATUR:

Wikipedia
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Naldini, Nico: Pier Paolo Pasolini. Eine Biographie; 2012 (Wagenbach)
Pasolini, Pier Paolo: Freibeuterschriften: Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft; 1998 (Wagenbach)
de Sade, Marquis Donatien-Alphonse-Francois: Die 120 Tage von Sodom oder die Schule der Libertinage/Ausschweifung
Schweitzer, Otto: Pier Paolo Pasolini; Rowohlts Monographien
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Galerie der abseitigen Künste - https://www.interview-mit-pasolini.de/pasolini