14.09.2025 - 21.09.2025 - 19.10.2025
![]() |
Stephen Jay Gould |
* 10.09.1941 in New York City (Queens)
+ 20.05.2002 in New York City
Steven Jay Gould war ein US-amerikanischer Paläontologe, Evolutionsbiologe, Geologe und Wissenschaftshistoriker.
Gould lehrte v. a. an der Harvard-Universität und schrieb außerdem populärwissenschaftliche Bücher und Essays. Manche verglichen seinen Stil sogar mit Montaigne.
Anders als manch ein Biologe hatte Gould die Angewohnheit, sein Fach nichts rechts, sondern links zu "lesen". So hinterfragte er traditionelle Begriffe wie "Intelligenz" und "IQ" und stand dem Darwinismus und Sozialdarwinismus kritisch gegenüber. So versuchte er zu zeigen, dass in der Evolution nicht immer das Stärkere bzw. Angepasstere ("fittest") gesiegt und somit die Evolution vorangetrieben habe, sondern dass es auch andere Optionen gab. Beispielsweise war nach Gould die Evolution nicht nur graduell, sondern blieb manchmal eine Zeit lang auf einem Punkt stehen und verweilte (stasis).
LEBEN
Gould wurde in Queens in New York City geboren. Sein Vater Leonard war ein Gerichtsschreiber (Stenograph) und diente im Zweiten Weltkrieg in der US Navy.
Seine Mutter Eleanor war Künstlerin. Ihre Eltern waren jüdisch-europäisch Einwanderer und lebten im Manhattener Garment District, in dem Stoffe und Kleidung hergestellt wurden.
Stephen und sein jüngerer Bruder Peter wuchsen als Mittelschichtskinder in der Bayside in Queens auf. Schon als Fünfjähriger besuchte Gould mit seinem Vater das American Museum of Natural History und bestaunte Skelette von Dinosauriern.
Gould besuchte die Jamaica High School und wuchs säkular-jüdisch auf.
Schon früh war er auch politisch links aktiv. Sein Vater galt als Marxist. Er selber wollte weniger dogmatisch vorgehen und las "The Power Elite" von C. Wright Mills und die Schriften von Noam Chomsky.
Nach der Schulzeit ging Gould auf das Antioch College in Yellow Springs (Ohio) und studierte dort Paläontologie und Evolutionsbiologie. Dort kämpfte er aktiv gegen die Rassentrennung in Restaurants und diversen Einrichtungen. Später protestierte er auch gegen den Vietnamkrieg.
Gould sah die Gefahr, dass Naturwissenschaften wie die Biologie für Unterdrückungszwecke eingesetzt werden könnten und Pseudobegründungen für Rassismus und Sexismus liefern könnten.
An der Columbia University wurde Gould 1967 promoviert. Es folgten Karrierestufen als Assistant Professor, als Associate Professor (1971) und als Professor für Geologie (1973) an der Harvard Universität.
1975 erhielt Gould den Charles Schuchert Award.
1981 war er MacArthur Fellow.
1983 wurde Gould Mitglied der American Acadamy of Arts and Sciences.
1989 wurde Gould Mitglied der National Academy of Sciences.
1989 erhielt er die Sue-Tyler-Friedman-Medaille.
1987 war er Präsident der Paleontological Society.
1990 wurde Gould zum Ehrenmitglied (Honorary Fellow) der Royal Society of Edinburgh gewählt.
2002 erhielt Gould die Paleontological-Society-Medaille.
2008 erhielt er posthum die Darwin-Wallace-Medaille der Linnean Society of London.
Typisch für Gould war aber, dass er trotz seiner ernsten Beschäftigung mit Wissenschaft und Politik immer wieder auch lustige Sachen machte. In seinen wissenschaftlichen Aufsätzen, die er für Magazine wie "Natural History" schrieb, streute er immer wieder auch seine Hobbys und private Gedanken ein. Besonders der Baseball hatte es ihm seit seiner Jugend angetan und er war ein lebenslanger Fan der New York Yankees.
Ein weiteres Hobby von Gould waren Science-Fiction-Filme, denen er aber oft Mängel in der Handlung und in der naturwissenschaftlichen Unterfütterung vorwarf.
Außerdem sang Gould Bariton in der Boston Cecilia und er war ein großer Bewunderer von Gilbert-und-Sullivan-Opern. Das waren Opern aus der Zeit vor 1900 von W(illiam) S(chwenck) Gilbert und Arthur Sullivan.
Weitere Hobbys waren Architektur, das Sammeln alter Bücher, das Lernen von Sprachen, Stadtspaziergänge und Reisen. Gould sprach neben Englisch Französisch, Italienisch, Deutsch und Russisch.
ERKRANKUNG
Gould erkrankte im Juli 1982 an einem Mesotheliom.
In seinem Essay "The Median isn't the Message" und in seinem Buch "Illusion Fortschritt" beschrieb Gould seine Reaktion auf die Aussage der Ärzte, zum Diagnosezeitpunkt betrage die restliche Lebenserwartung im Median nur 8 Monate. Wegen der frühen Diagnose der Erkrankung und weiteren günstigen Variablen hatte Gould gute Chancen, zu jener Hälfte der Erkrankten zu gehören, die länger als 8 Monate überlebten.
Schließlich wurde die Krankheit durch neue Heilmethoden sogar besiegt.
Allerdings starb Gould am 20.05.2002 an Lungenkrebs.
WIRKEN UND WERK
Gould vertritt in seinen Veröffentlichungen einen makroevolutionären Ansatz.
Mit Niles Eldredge hat er die Theorie des unterbrochenen Gleichgewichts (punctuated equilibrium; Punktualismus) entwickelt.
Die Theorie geht davon aus, dass die Evolution nicht mit konstanter Geschwindigkeit in stetigen kleinen Schritten erfolgt (Gradualismus), sondern als Wechsel zwischen kurzen Phasen mit schneller Veränderung und langen Phasen ohne (oder mit wenig) Veränderung (stasis).
Gould vertritt mit Niles Eldredge die Theorie des "unterbrochenen Gleichgewichts" (punctuated equilibrium; Punktualismus).
Heute ist herrschende Meinung, dass Evolution schon in unterschiedlichen (variablen) Geschwindigkeiten (Sg. oder Pl.) erfolgt, aber nicht so extrem wie in der Theorie des Punktualismus beschrieben.
(Goulds Ansatz wurde bisweilen gegen seinen Willen in Richtung der "Theorie des Hopeful Monsters" von Richard Goldschmidt geschoben.)
Für Gould wird Evolution auch sehr stark durch Zufälle bestimmt. In diesem Sinne revidiert er die Forschungsergebnisse des Burgess-Schiefer über die kambrische Explosion (Kontingenztheorie der Evolution).
Nach Gould können Organismen auch ohne Wandel mit großen Umweltveränderungen fertig werden.
Publizistisch unterstrich er das in Stephen J. Gould/Richard C. Lewontin (1979) und Stephen J. Gould/Elisabeth Vrba (1982).
Gould verfolgt mit seinem Punktualismus durchaus auch einen politischen Ansatz:
Er sieht den Begriff der natürlichen Selektion als durchaus problematisch an.
Denn dieser Begriff lässt sich leicht für rechte Ideologien instrumentalisieren.
In den Aufsätzen "The Spandrels of San Marco and the Panglossian Paradigm. A Critique of the Adaptionist Programme" (1979) mit Richard C. Lewontin und "Exaptation. A missing Term in the Science of Form" (1982) mit Elisabeth Vrba vertritt Gould die These, dass Eigenschaften eines Organismus auch ohne direkten Funktionsbezug überlebt haben können (vgl. Wikipedia).
Für Gould kann die natürliche Selektion auch eine funktionelle Negativauswahl hervorbringen und nicht (oder nicht nur) eine Positivauswahl bestimmter Eigenschaften in adaptionistischer Manier.
Im ersten Aufsatz greifen Gould und Lewontin die Idee der übertriebenen (?) Anpassung an ("adaptionist program"). Bis heute wird über das Ausmaß der Adaption von Organismen in ihren Populationen gestritten.
Gould und Lewontin wehren sich gegen eine vermeintlich überzogene Einzelbetrachtung ("Atomisierung") von Merkmalen, die einzeln der Selektion unterliegen und adaptiert werden. Zahlreiche Merkmale seien nicht-selektierte Nebenprodukte anderer, adaptierter Merkmale.
Der zweite genannte Aufsatz betont im Titel das Konzept der Exaptation. Danach wird ein Merkmal zunächst für eine andere Funktion selektiert und adaptiert als die, die (dann) als die dominierende gesehen wird.
KRITIK
Stephen Jay Goulds Thesen wurden inhaltlicher Kritik unterzogen. Manche störte auch sein Auftreten mit linken Symbolen und "Säulenheiligen" in seinem Dienstzimmer.
Ernst Mayr kritisierte Goulds Angriff auf die evolutionäre Anpassung. Auch er gab aber zu, dass Anpassung zu keinem perfekt optimierten Prozess führe, weil "stochastische Prozesse und andere Constraints" und Peiotropie eine perfekte Adaption verhinderten.
Schon Darwin hat die Möglichkeit einer perfekten Anpassung verneint.
Pleiotropie (πλείων/pleíōn - mehr; τροπή/tropē - Wende, Veränderung) meint in der Genetik die Ausprägung unterschiedlicher phänotypischer Merkmale durch ein einzelnes Gen.
Daniel Dennett kritisiert, dass Gould et al. zwar den Darwinismus in einigen Punkten kritisiert hätten, dass das Gesamtgebäude des Darwinismus aber nie erschüttert worden sei. Dennett stört sich besonders an den Thesen in Goulds Aufsatz "The Spandrels of San Marco and the Panglossian Paradigm" von 1979.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen