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Dienstag, 15. April 2014

DANIEL BELL



* 10.05.1919 in New York (City)
+ 25.01.2011 in Cambridge, Massachusetts

Daniel Bell, der ursprl. Daniel Bolotsky hiess, war ein US-amerikanischer Soziologe, der sich v. a. mit der Industriegesellschaft beschäftigte.

Daniel Bell war der Sohn von Benjamin Bolotsky und Ann Kaplan. Seine Familie stammte aus Mittelosteuropa. Sein Vater starb schon 1920.
Daniel Bell wurde daraufhin von seinem Onkel Samuel Bolotsky, seines Zeichens Zahnarzt, erzogen.
Seine Erstsprache war Jiddisch.

Daniel Bell besuchte von 1935 - 1938 das City College in New York (CCNY) und erwarb hier einen Bachelor-Titel. Dort lernte er auch politische Gruppen wie den sozialistischen Kreis "Alcove Nr. 1" kennen, in dem Tischtennis gespielt und über die Welt diskutiert wurde. In anderen Alkoven trafen sich Sportler, Kommunisten, christliche Gruppierungen oder Zionisten.
In der Alcove Nr. 1 wirkten viele später einflussreiche Intellektuelle mit, darunter Irving Kristol, Irving Howe, Seymour Martin Lipset, Philip Selznick und Nathan Glaser. Politisch schlugen die Gruppenmitglieder aber bald unterschiedliche Wege ein. Während Irving Howe später zu einer Gallionsfigur der amerikanischen Linken wurde, mutierte der ursprünglich ebenfalls linke Kristol zu einem Konservativen und prägte sogar den Begriff neokonservativ. Besonders stark weitergeführt hat diesen Trend nach Rechts dann sein Sohn William Kristol.
Nach dem City College besuchte er 1939 die Graduate School an der Columbia University New York.
Von 1940 bis 1945 arbeitete Daniell Bell als Journalist bei "The New Leader" in New York und machte dort Karriere.
Im Jahre 1943 heiratete er Nora Potashnick, mit der er die Tochter Jordy hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Daniel Bell nach Chicago. An der University of Chicago arbeitete er bis 1948 als Dozent. Er bekam damals im akademischen Milieu aber neu Zeitverträge.
1949 heiratete er Elaine Graham. Danach musste er wieder als Journalist arbeiten. Er stieg wieder auf und wurde Herausgeber der Fortune aus Chicago. Später zog er wieder nach New York.

1960 heiratete er nach einer erneuten Scheidung Pearl Kazin. Aus dieser Beziehung ging der Sohn David A. Bell hervor, der später Historiker wurde. In den Jahren 1956 und 1957 war er einer der Verantwortlichen des Congress for Cultural Freedom in Paris (CCF). Der CCF sah sich als Sammlung gemässigt linker Denker, die aber gegen den Kommunismus standen. In Wirklichkeit wurde er aber wie viele ähnliche Gruppierungen von der CIA unterstützt (zu diesem Thema gab es u. a. viele SPIEGEL-Berichte).

Danach konnte sich Daniel Bell im akademischen Betrieb fester etablieren. Von 1959 - 1969 lehrte er Soziologie an der Columbia University und von 1969/70 - 1990 an der Harvard University.
Im Jahre 1987 war er als Gastprofessor (Pitt Professor of American History and Institutions) auch an der Cambridge University tätig.

In dieser Lehrzeit entwickelte Bell immer konsistentere Theorienansätze. Er untersuchte die Industriegesellschaft und vertrat im Kern die Theorie, dass diese sich weiterentwickele zu einer Dienstleistungsgesellschaft, dabei aber nicht ihre wichtigen Wesensmerkmale verliere. So sah er die neuen Gesellschaftsformen auch nicht als Postmoderne, sondern als fortgesetzte und gesteigerte Moderne. 
Radikalen Ideologien, die den Niedergang der bestehenden Gesellschaftsformationen vorhersagten, erteilte er eine Absage.

In der Schrift "The End of Ideology" (1960) konstatierte Daniel Bell den Niedergang apokalyptischer Klassenideologien des 19. Jhd.s, die aber noch bis in die 50er-Jahre des 20. Jhd.s verbreitet waren.
Gemeint war damit u. a. der Marxismus.
Bell sah die sozialen Konflikte im Westen durch demokratische Partizipation und Wohlfahrtspolitik gemindert. Für die Marxisten war aber gerade das ein Trick, um die Arbeiter für eine Politik gegen ihre Klasseninteressen zu gewinnen.
Bell aber glaubte, dass auch in Zukunft gesellschaftliche Konflikte im Konsens angegangen werden könnten.
Die Reaktion auf Bells Thesen waren so intensiv, dass er sie 1988 in der Vorlesung "The End of Ideology Revisited" in der London School of Economics noch einmal aufgriff.

Den gesellschaftlichen Wandel beschrieb Daniell Bell in dem Werk "The Coming of Post-Industrial Society" von 1973, auf Deutsch als "Die nachindustrielle Gesellschaft" 1975 erschienen.
In diesem Werk geht Bell auf die schon 1969 von Alain Touraine diagnostizierte "postindustrielle Gesellschaft" ein, in der es zu einem (Struktur-) Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft komme. Bell nennt dafür empirische Beispiele.
Allerdings sieht er nicht eine neue Epoche der Postmoderne anbrechen, sondern er empfindet die postindustrielle Gesellschaft als Fortsetzung und Steigerung der Moderne.
Hier ähnelt seine Analyse Grob der von Theodore Roszak in "The Cult of Information" von 1986 (dt. "Der Verlust des Denkens"), in der dieser ausführt, dass es zwar Ansätze einer Informationsgesellschaft gäbe, die aber die Industriegesellschaft nicht völlig verdränge, sondern in der nur ein Teil der Produktion von den ehemaligen Industrieländern ins Ausland verlegt werde. Ausserdem versucht er, die Schwammigkeit des Begriffes Information aufzuzeigen.

Einen weiteren interessanten Ansatz fand Daniel Bell in "The Cultural Contradictions of Capitalism" (dt. "Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus") von 1976. In diesem essayistischen Werk vertritt Bell die These, dass es im Kapitalismus bzw. der Industriegesellschaft einen Widerspruch (oder mehrere) gebe, der zu einem Wertekonflikt und einer Krisensituation führe: Nämlich den Widerspruch, dass der Kapitalismus einen Drang zur intensiven Produktion habe, was den Aufschub von Bedürfnisbefriedigungen erfordere, während er gleichzeitig ein Interesse am Konsum habe, was eine schnelle Bedürfnisbefriedigung nahelege und eine Freizeitindustrie entstehen lasse. Letzteres leiste hedonistischen Werten wie sofortiger Bedürfnisbefriedigung, Vergnügungslust, Spass und Sichgehenlassen Vorschub.

Vielbeachtet war auch Bells Analyse "The Social Sciences Since the Second World War" von 1982, die in Deutschland unter dem Titel "Die Sozialwissenschaften seit 1945" 1986 erschien. Hierin wagte Bell einen Rundumschlag über die verschiedenen Teildisziplinen der Sozialwissenschaften und ihre Theorien über menschliches Denken und Handeln.
Enthalten sind Ökonomie, Soziobiologie, Anthropologie sowie die Auseinandersetzung mit "holistischen Perspektiven", marxistischen, neo-marxistischen und strukturalistischen Theoriegebäuden. Bell geht bsw. beim das Thema der holistischen Perspektiven auf die Möglichkeit und Aussagekraft von Makrotheorien in der modernen Gesellschaft ein, im Bereich der marxistischen Theorien untersucht er u. a. Ansätze von Louis Althusser. Man erkennt Bells kritische Haltung gegenüber dem Marxismus, aber auch die Bereitschaft, sich mit entsprechenden Theorien auseinanderzusetzen.


LITERATUR

Bell, Daniel: The End of Ideology: On the Exhaustion of Political Ideas in the Fifties; New York 1960
Bell, Daniel: The Coming of Post-Industrial Society; New York 1973
(Dt. Die nachindustrielle Gesellschaft; Frankfurt/Main 1975)
The Cultural Contradictions of Capitalism; New York, 1976
(Dt. Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus; Frankfurt/Main 1991)
Bell, Daniel: The Social Sciences Since the Second World War; New Brunswick 1982
(Dt. Die Sozialwissenschaften seit 1945; Frankfurt/Main 1986)
Bell, Daniel: The End of Ideology Revisited; in: Government and Opposition 23/1988, No. 2 (I) + No. 3 (II)
-
Kaube, Jürgen: Zum Tod des Soziologen Daniel Bell. Diagnostiker der Informationsgesellschaft
(FAZ online)
Waters, Malcolm: Daniel Bell; London 1996
Waxman, Chaim Isaak (Hg.): The End of Ideology Debate; New York 1968


FILM

Dorman, Joseph: Arguing the World; 1998


QUELLEN
Internetquellen einschliesslich Wikipedia (Bildquelle: en.wikipedia.org)
Werke des Autors

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