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Samstag, 30. September 2023

DER POLITISCHE VERRAT (IN HISTORISCHER PERSPEKTIVE)

Der Dolch als Symbol des Verrates!
(bei den Römern neben dem geraden Dolch (pugio) auch der Krummdolch (sica))


Wikipedia definiert Verrat wie folgt: "Verrat ist ein besonders schwerer Bruch des Vertrauens, der die angenommene Loyalität verletzt." (01.10.2023)
Ein Verräter kann eine Person oder (s)eine Gruppe im Stich lassen oder Geheimnisse an andere Nutznießer verraten.
Eine differenzierte Verratstheorie wurde bis heute noch nicht ausformuliert.
Im deutschen Kulturraum beschäftigte sich Margret Antonie Boveri mit dem Thema Verrat - besonders in Hinblick auf das Stauffenberg-Attentat. Ihre eigene Biographie ist aber auch voller Widersprüche.

Das Grundwort von verraten ist "raten".
Aber gehen wir schrittweise vor...

In der Soziologie und in der Verhaltensbiologie (Ethologie) lernt man, dass der Mensch gerne Gruppen bildet. Diese Gruppen bilden sich meist entlang von Gemeinsamkeiten (Homogenitäten, gemeinsamen Merkmalen) oder Ähnlichkeiten:
  • kulturelle Gemeinsamkeiten
  • ähnliche wirtschaftliche Interessen
  • politische Gemeinsamkeiten
  • sexuelle Gemeinsamkeiten
  • usw.
Diese Tendenz zur Gruppenbildung mag gesellschaftlich und/oder biologisch bedingt sein. Früher war das Thema "nature vs. nurture" ein beliebtes Streitthema.
Wie dem auch sei: Durch Gruppenbildung wird eine Gruppenidentität geschaffen, die sich auch auf die Psyche/das Bewusstsein des Einzelnen auswirkt.
Gleichzeitig kommt es immer wieder vor, dass ein Mensch seine Gruppenzugehörigkeit wechselt. Das mag als friedlicher Wechsel vorkommen oder eben als offener oder verdeckter Verrat. Ein Gruppenwechsel kann also friedlich oder destruktiv sein.
Verrat hängt häufig mit Gruppenzugehörigkeiten zusammen, kann aber auch auf rein individueller Ebene erfolgen.
 
Verrat mag viele Motive haben, die einzeln oder vermischt wirken:
  • wechselnde Überzeugungen
  • materielle Interessen
  • Rachegelüste
  • Spaß am Verrat selber
  • Erpressung zum Verrat
Solche verräterischen "Seitenwechsel" kommen in der Geschichte öfter vor als man denkt.
Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie oft und wie extrem ein verräterischer Gruppenwechsel vorkommt.
Neben modellartigen Analysen sollte man auch historische-empirische Tatsachen als Beispiele für Verrat nennen. Die Geschichte selbst kann quasi als "empirische Fundgrube" und "Alltagslabor" gesehen und benutzt werden.


1. Alexander der Große:

Alexander der Große hat nach dem Tod seines Vaters Philipp II. im Jahre 336 v. Chr. das makedonische Königtum übernommen. Und mit ihm den Plan, das Perserreich zu erobern und damit gleichzeitig die zerstrittenen Griechenstaaten zu einigen. (Es ist nicht ganz klar, ob sein Vater das ganze Perserreich erobern wollte. Und es ist auch nicht klar, ob hinter der Ermordung Philipps II. durch Pausanias nicht Alexanders Mutter Olympias stand oder sogar Alexander selbst. Denn Philipp II. hatte eine neue Frau geheiratet und die war schwanger, so dass die Thronfolge des "Halbmakedonen" Alexander gefährdet war.)

Als Alexander der Große 323 v. Chr. starb, ahnte er schon auf dem Sterbebett, dass sich nur der Stärkste (kratistos) unter seinen Feldherren durchsetzen würde und dass seine Totenfeiern interessant werden würden. Um Alexanders Tod selber ranken sich viele Theorien. Er starb auf einem Trinkgelage in Babylon. Es ist aber nicht klar, ob an Alkoholkonsum, allgemeiner Erschöpfung, einer Infektionskrankheit, einer sonstigen Krankheit oder an Gift. Fakt ist aber, dass er auf Druck seiner Mutter Olympias gerade die Antipatriden (Antipater und seine Söhne) entmachten wollte und der Antipatride Iolaos sein Mundschenk - auch beim Trinkgelage - war.
So kam es dann auch. Die Diadochen (Nachfolger), die eben noch an der Seite Alexanders des Großen gegen die Perser zu Felde gezogen sind, bekämpften sich plötzlich gegenseitig. Am Anfang ging es auch darum, ob man die Einheit des Reiches behalten sollte oder nicht. Dieser Gedanke trat immer mehr zurück, als sich die Partikulargewalten durchsetzten und sich die überlebenden Diadochen zum König ausriefen lassen. Aus der Herrscherfamilie Alexanders des Großen wurden in diesen Kämpfen alle wesentlichen Mitglieder ermordet.


2. Die Catilinarische Verschwörung und das Ende der Republik:

Im 1. Jhd. v. Chr. "schwächelte" die Römische Republik (res publica) deutlich.
Die Verfassung Roms war ursprünglich für eine Stadt gedacht. Jetzt musste sie durch die Eroberungen ein immer größeres Gebiet einbeziehen. Gleichzeitig nahm die soziale Ungleichheit immer mehr zu.
Berühmt sind die Machtkämpfe zwischen Optimaten und Popularen.
Im Jahre 63 v. Chr. zeigten sich die Schwächen des Systems erneut. Der Senator Lucius Sergius Catilina versuchte, die Macht in Rom an sich zu reißen - letztendlich vergeblich. Aber das Staatsschiff wankte bereits. Einige Jahrzehnte später sollte es im Kampf zwischen Verteidigern der Republik und Triumviraten (Dreimännerkollegien) und schließlich im Kampf der Triumvirn untereinander untergehen und die Macht an Gaius Octavi(an)us "Augustus" übergehen.
Aber so weit war es 63 noch nicht. Der Historiker und Politiker Gaius Sallustius Crispus beschrieb in seiner "Catillinarischen Verschwörung" ("Coniuratio Catillinae"), wie Catillina zusammen mit einem Netzwerk von Mitverschwörern den Consol Cicero ermorden und die Republik stürzen wollte.
Im Abschnitt 5 schreibt Sallust:
"Catillina fuit magna vi et animi et corporis, sed ingenio malo pravoque."
"Catillina besaß eine große geistige und körperliche Kraft", aber eine schlechte und verderbliche Veranlagung."
Hier geht es aber nicht um Catillina allein, der es u. a. nicht verkraftet hat, dass seine Bewerbung um das Konsulat nicht von Erfolg gekrönt war, sondern um die vielen Mitverschwörer, die "res novae" (eigentlich "neue Dinge", gemeint ist aber "Umsturz") haben wollten.
Es ist auffällig, dass der junge Gaius Iulius Caesar bei der Behandlung der besiegten Catilinarier sehr für Milde plädierte. Es ist bis heute nicht klar, ob er in die Verschwörung eingeweiht oder sogar aktiv an ihr beteiligt war.


3. Die Amerikanische Revolution:

Bei der Amerikanischen Revolution, also der Unabhängigkeitserklärung einiger der meist britischen, irischen, deutschen oder skandinavischen Siedler Nordamerikas, kam es auch häufig zu Verrat.
Eigentlich ist die Revolution an sich ein Verrat, auch wenn sie jetzt als "historisch erledigt" gilt.

Der Grund: Kurz vorher fand der French and Indian War statt, von vielen als Ausläufer des Siebenjährigen Krieges in Europa gesehen. Einige Historiker sehen die Kriege davor mit diesem als eine Reihe von French and Indian Wars.
Bei diesen Kriegen ging es, wie der Name sagt, darum, dass sich britische und französische Kolonialinteressen in Teilen Nordamerikas kreuzten und es zu Showdowns kommen "musste".
Viele Indianerstämme kämpften auf der Seite der Franzosen, einige auch (Irokesen) auf britischer Seite.

Während der French and Indian Wars, von denen gerade der letzte nur kurz vor der Unabhängigkeitserklärung stattfand, kämpften die regulären britischen Truppen und die Siedler noch Seit an Seit. Kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, die britischen Truppen als Besatzungstruppen zu sehen oder gar zu bekämpfen. So ist die Unabhängigkeitserklärung wenig später recht seltsam, auch wenn es um erhebliche Zollstreitigkeiten ging.
Und George Washington, der plötzlich als Anführer der "freiheitsliebenden Patrioten" galt, war eigentlich ein britischer Offizier, der die Seiten gewechselt hat.

Wenn man die historischen Quellen genau betrachtet, waren auch längst nicht alle Siedler für die Unabhängigkeit von der britischen Krone. Es gab Neutrale/Unentschlossene. Es gab aber auch "Loyalisten", die sich weiterhin zur Krone bekannten und sogar für diese kämpften. Da sie aber in vielen Regionen den aggressiven Patriots unterlegen waren, flohen viele nach Boston, wo die Briten ihren Hauptstützpunkt hatten, oder nach Süden.

Nach der Niederlage akzeptierten einige Loyalisten den neuen Status quo, andere flohen ins weiterhin britische Canada oder wieder nach Süden.
Umgekehrt gab es in Canada auch Anhänger der Idee einer Loslösung von der britischen Krone. Man nimmt aber an, dass die freundschaftlichen Wirtschaftsbeziehungen zum Mutterland und zähe Grenzkonflikte zu den entstehenden USA dabei halfen, diese Idee wieder unter Kontrolle zu bekommen.


4. Die Französische Revolution:

Während der Französischen Revolution kam es oft zum Verrat.
Wie so oft bei einem gewaltsamen Regimewechsel, versuchten die Revolutionäre den Geschichtsverlauf so darzustellen, als ob durch die Revolution ein grausames "Ancien Régime" (Altes Regime) durch ein moralisch integres Neues Regime ersetzt worden sei.
Fakt ist aber, dass dem einmal nicht immer so ist und dass zweitens selbst viele Revolutionäre ihre frühe Biographie noch im Ancien Regime hatten. Außerdem ist oft auch das Neue Regime in Gefahr, so dass "taktisch kluge" (aber prinzipienlose Akteure) einmal oder mehrfach die Seiten wechseln.

In Bezug auf die Französische Revolution sind folgende Anmerkungen wichtig:
  • Revolutionäre betonen immer den Bruch durch die Revolution, also die Diskontinuität.
    In Wirklichkeit gibt es daneben aber auch eine Kontinuität.
  • Das Ancien Régime (Monarchie) war bestrebt, Frankreich zu einigen, um das Chaos der inneren Zerrissenheit im Hundertjährigen Krieg gegen Großbritannien nicht zu wiederholen.
    Die Revolution hat diese Einheitsbemühungen aber noch verstärkt.
    Die Gouvernements wurden aufgelöst und durch (schwächere) Departements ersetzt.
    Das Standardfranzösische wurde ebenso gegenüber französischen oder romanischen Sprachen/Dialekten und nichtfranzösischen Sprachen durchgesetzt.
Eine besondere Rolle in den Wirren der Revolution hatte Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord.
Er war zwar eigentlich Monarchist, kam aber in fast jedem "Zwischenregime" dieser Umbruchszeit gut weg.
Ein ähnliches Spiel versuchte Joseph Fouché, scheiterte aber nach der erneuten Niederlage Napoleons bei Waterloo (nach der Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig) mit seinem erneuten Überlaufversuch zu den Monarchisten und wurde 1815 entlassen. (Fouché hatte während der Revolution noch die Hinrichtung Ludwigs XVI. unterstützt und galt deshalb bei den Anhängern der Monarchie als Königsmörder bzw. régicide).

Bei der Nachwirkung der Revolution ist auch festzuhalten, dass sie von vielen falsch gesehen wurde:
Das "andere Frankreich", das sich nicht zur Republik bekannte, war noch lange nicht tot.
Schon nach der Niederlage Napoleons bei Waterloo wurde die Monarchie restauriert. Sie hielt zwar nur 15 Jahre, aber in Frankreich gab es lange erhebliche Teile der Bevölkerung, die katholisch-royalistisch und nicht republikanisch gesinnt waren. Insbesondere in der Diplomatie blieb lange der Adel stark.
Zu diesen Monarchisten und Bonapartisten auf der Rechten gesellten sich nach dem Ersten Weltkrieg noch Faschisten, die oft - ähnlich wie Mussolini - sozialistische und ultranationalistische Ideen verknüpften.


5. Die Russische Revolution:

Ein weiterer Ort des munteren Seitenwechsels war die Russische Revolution.
Eigentlich gab es aus Unzufriedenheit über den sich in die Länge ziehenden Ersten Weltkriegs überall in Europa revolutionär-sozialistische ("rote") Tendenzen.
Allein das ist schon ein Verrat - gemessen an der alten Linie.
Viele, die 1914 noch im nationalistischen Taumel "Hurra!" schrien, waren 1917/18 plötzlich anti-nationalistisch, sozialistisch und internationalistisch gesinnt.

In Russland ging das so weit, dass sogar Generäle der Zarenarmee plötzlich den Sozialisten in sich entdeckten und den Treueeid brachen.
Menschen wie Lenin waren zwar schon vor dem Weltkrieg revolutionär. Aber die Ochrana, der zaristische Geheimdienst, sah sie nicht als große Gefahr an. Viel stärker waren damals Narodniki ("Volkstümler", vielleicht Linksnationalisten) und Anarchisten, die überhaupt im 19. Jhd. das größere revolutionäre Potenzial hatten als die Kommunisten und noch im spanischen Bürgerkrieg eine Rolle spielen sollten.

In Russland waren 1917 der Hunger und die Verluste so groß, dass besonders nach gescheiterten Westoffensiven die Stimmung "am Kippen" war. Der erste Ansatz einer Revolution war aber noch nicht kommunistisch. Erst als deutsche Geheimdienste Lenin im versiegelten Eisenbahnwaggon nach Finnland fahren ließen und ihn gleichzeitig mit einer großen Geldsumme ausstatteten, kippte die Stimmung ins Kommunistische bzw. Bolschewistische.
Die revolutionären Handlungen waren dann gar nicht so spektakulär, wie es später im Film dargestellt wurde. Brutal war vielmehr der daraufhin folgende russische Bürgerkrieg, der im Kern bis 1921 dauerte. Kriegsparteien waren die Rote Armee, die Weiße Armee, Warlords, Anarchisten und einfache Kriminelle.

Interessant sind auch hier wieder die Wendungen: Während die Weiße Armee das Ziel hatte, Russland groß, einig und stark zu erhalten, erreichte die Rote Armee genau dieses Ziel.
Dafür schraubten Lenin und Trotzki und später Stalin viele Freiheitsrechte, die es in der frühen Revolutionszeit noch gegeben hatte, auf nahe 0 herunter.
Insbesondere das Verständnis für Belange nichtrussischer Nationalitäten, das Lenin vor der Revolution in der Hoffnung auf Unterstützung für seine Sache noch gezeigt hatte, war jetzt hinüber.
In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass die "Roten Zaren" die Russifizierungspolitik der gestürzten Zaren fortgesetzt haben.


6. Der national-sozialistische Expansionskrieg:

In der Geschichtsschreibung stellt man es oft so dar, als ob Hitler ab 1939 fast alle Länder Europas überfallen hätte. Man erwähnt vielleicht noch, dass er Verbündete wie Italien oder bedingt Japan hatte.
Was man nicht sagt, ist, dass er viel mehr Verbündete hatte und dass es in vielen überfallenen Ländern ein erhebliches Ausmaß an Kollaboration gab. Neben der Unterstützung für die Verwaltung kämpften viele Kollaborateure in der Waffen-SS mit, die sich im Kriegsverlauf in Richtung einer europäischen Armee wandelte.
Nach 1945 galten diese Kämpfer als Verräter. Viele wurden einer harten Strafverfolgung unterzogen.
Einige aber, die nützlich waren oder gute Beziehungen besaßen, kamen fast ungeschoren davon.
Die Kollaborateure sahen sich meist selber nicht als Verräter, sondern z. B. als Antikommunisten, Paneuropäer/Euronationalisten oder auch als Antiamerikanisten.
Anhänger des französischen Kollaborateurs Doriot warfen Franzosen, die auf Seiten der Westalliierten kämpften, selber einen Kampf für fremde Mächte vor.

  • In Frankreich entschloss sich 1940 die große Mehrheit der Nationalversammlung (Assemblé nationale), den aus dem Ersten Weltkrieg populären Philippe Pétain zurückzuholen. Pétain war bereits in Richtung Ruhestand unterwegs.
    Als sich der Wind 1944/45 drehte, bewies Frankreich ein kurzes Gedächtnis: Pétain galt nun als Verbrecher. Ihm wurde der Prozess gemacht und er sollte hingerichtet werden. Dann wurde er zur Festungshaft verurteilt und starb dort.
    Die Hauptverbrechen des Vichy-Regimes liegen entsprechend nicht in der partiellen Kollaboration - man nahm nämlich auch französische Interessen wahr. Die Hauptverbrechen des Regimes liegen in den Deportationen.
    Im Krieg kämpften Franzosen in Wehrmacht und Waffen-SS. Ein berühmtes Beispiel ist die SS-Brigade und spätere SS-Divison Charlemagne.
  • In den Ländern, die man heute Benelux nennt, war die Kollaboration ebenfalls hoch.
  • In Norwegen unterstützten viele Vidkun Quisling. Trotzdem wurde dieser später als Verräter betrachtet und wie einige andere Kollaborateure hingerichtet.
  • In der Ukraine gab es eine erhebliche Kollaboration, weil unter Stalin in den 1930ern mehr als 3 Mio. Ukrainer verhungert sind (heute als "Holodomor" bezeichnet). Außerdem ließ der sowjetische Geheimdienst NKWD vor seinem Abzug in den Gefängnissen viele Gefangene massakrieren.
    Heute wird dieses Thema benutzt, um die Ukraine als "faschistischen Staat" darzustellen. Man vergisst dabei aber 1. die vorausgegangenen Massaker an Ukrainern und 2. die Tatsache, dass es auch eine russische Kollaboration gab.
  • In Russland waren nicht alle Menschen am Widerstand gegen Hitler beteiligt, auch wenn das in der Sowjetzeit in Schulbüchern und auf öffentlichen Feiern so verkündet wurde.
    In Russland gab es diverse Kollaborateure, die durch den Rückzug des Stalinismus eine Renationalisierung des Landes gekommen sahen. Auf deutscher Seite kämpften in der Wehrmacht die Anhänger General Andrej Wlassows in der "Russischen Befreiungsarmee" (ROA; auch "Wlassow-Armee"), in der SS unter Bronislaw Kaminski die "Waffen-Sturm-Brigade" (RONA; auch "Kaminski-Brigade"), deren Umwandlung in eine Waffen-Grenadier-Division nicht mehr gelang.
  • Auf dem Balkan gab es erhebliche Kollaboration in der ehemaligen Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, dem ehemaligen SHS-Staat (späteres Yugoslawien) und in Bulgarien.
  • Über den Grad der Kollaboration in Griechenland wird gestritten. Sicher ist aber, dass es sie gab.

7. Die chinesischen Revolutionen des 20. Jhd.:

Nicht nur in Frankreich oder Russland kam es zu Revolutionen und Regimewechseln, sondern auch in China - und zwar reichlich!
  • 1912 kam es zu einer Revolution gegen die Mandschuh-Herrschaft (Qing-Dynastie).
    Die Mandschu galten als Fremdherrscher und als reformunfähig.
    Nicht gesagt wird aber, dass es viele chinesische Kollaborateure der Qing gegeben hat und dass China unter den immer mehr assimilierten (sinisierten) Manschu seine größte Ausdehnung erreicht hatte. Die Mandschu wollte man vielleicht nicht, ihre territoriale Ausdehnung aber schon.
    Viele Anhänger der Revolution waren früher sogar in Diensten der Mandschu.
  • In der Zwischenkriegszeit versuchte die Guomindang, China militärisch zu einigen. Das Land war inzwischen aber in Einflussbereiche der Warlords zerfallen. Ärger machten auch die seit 1921 bestehnden Kommunisten.
    Tschiang Kai-shek arbeitete bei der Bekämpfung der Kommunisten in Städten wie Shanghai mit der Organisierten Kriminalität (Triaden) zusammen. Die Kommunisten auf dem Land wollte er in mehreren Umfassungsbewegungen erledigen, was aber durch kommunistische Fluchtkampagnen und Maos langen Marsch knapp misslang.
  • Im Zweiten Weltkrieg wurde die Guomindang durch die 1932 in die Mandschurei und ab 1937 ins chinesische Kernland eindringenden japanischen Truppen empfindlich geschwächt.
    Die Kommunisten erholten sich dagegen mit russischer Hilfe im nicht von Japan besetzten Hinterland. So konnten sie nach dem Rückzug der Japaner 1945 "erholt" die Mandschurei angreifen und danach ganz China einnehmen. Dabei schlossen sie die zu passiv agierenden nationalchinesischen Verbände der GMD in den großen Städten ein und betrieben eine rücksichtslose Aushungerungstaktik, in denen auch viele "Arbeiter und Bauern" starben, für die die Kommunisten eigentlich zu kämpfen vorgaben.
    Die kommunistische Propaganda verdrehte dann nach dem Sieg 1949 die geschichtlichen Tatsachen und stellte es so hin, als ob die Guomindang im Gegensatz zur KP nicht richtig gegen die Japaner gekämpft habe.
  • Mao Zedong hatte während des Bürgerkriegs den ethnischen Minderheiten noch - ähnlich wie Lenin - Unabhängigkeit oder Autonomie versprochen. Nach seinem Sieg 1949 konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Er lud Vertreter der Uighuren zu Gesprächen nach Peking ein, wobei aber deren Flugzeuge abstürzten. Es ist bis heute nicht klar, ob es sich um Unfälle handelte oder ob Mao nachhelfen ließ. Auch Tibet wurde immer stärker in Pekings/Beijings Zangengriff genommen.

8. Die Entkolonialisierungskriege:

Heute werden die Entkolonialisierungskriege so dargestellt, als hätten sich unterdrückte Kolonialvölker entschlossen, sich gegen ihr Joch zu erheben.
Das war teilweise so, aber auch nur teilweise.
  • Der indische Aktivist Mahatma Gandhi war zunächst nicht gegen, sondern für das britische Empire. Er wollte nur, dass die Inder darin mit den Briten gleichgestellt wurden.
    So unterstützte er auch den brutalen Burenkrieg in Südafrika.
    Seine spätere politische Linie fand er erst allmählich.
    Und trotz seines Engagements gegen Armut und Unterdrückung hielt er weitgehend am Kastenwesen fest.
  • Wenn man britische Kolonien wie Indien oder Teile Afrikas befreien will, muss man wissen, wie dort die Rechte von Minderheiten garantiert werden können. Es ist gefährlich, wenn sich ein Kolonialvolk befreit, aber dann andere Kolonialvölker unterdrückt.
  • In den französischen Kolonien in Indochina (1945/46 - 1954) und Nordwestafrika (1954 - 1962) kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu Kolonialaufständen.
    In Indochina kämpften die Einheimischen um ihre legitimen Freiheitsrechte. Man darf aber nicht vergessen, dass es auch unter den Unterdrückten Hierarchien gab. So hatten viele Bergstämme Probleme mit der Loslösung von Frankreich, weil sie dann eine Unterdrückung durch Südostasiaten befürchteten.
    In Nordwestafrika ist es so, dass sich zwar die FLN gegen die französische Oppression einsetzte, aber dann gleichzeitig auch Konkurrenten aus dem algerischen Lager umbrachte.
    Außerdem gibt es eine logische Inkonsitenz: Der Antikolonialismus und Antiimperialismus der FLN war nur ein halber.
    Begründung: Die Algerier sind im Kern Berber, die zuerst durch die Araber (ab 7. Jhd. n. Chr.) kolonialisiert wurden und dann durch die Franzosen (frühes 19. Jhd.). Es ist daher unlogisch, nur die französische Kolonialisierung rückgängig zu machen und sich dann als Araber zu definieren.
    Araber waren früher auf der arabischen Halbinsel beheimatet und nicht in Nordafrika.
  • Viele Entkolonialisierungsbewegungen wurden von der sich als sozialistisch betrachtenden Sowjetunion unterstütz. Das ist seltsam:
    Man wirft den Briten Kolonialismus vor und den Franzosen und fordert die Revision der Kolonialisierung.
    Aber wie steht es denn mit der eigenen Kolonialgeschichte? Schließlich hat die SU das einstige Russische Reich territorial fortgesetzt und die Russifizierung weiter vorangetrieben.

 9. Die Islamische Revolution im Iran:

Eine Revolution, die auch viel mit Verrat und Manipulation zu tun hat, ist die im Iran in den Jahren 1978/79.
Im Iran herrschte damals der Schah, also ein Monarch. Seine Herrschaft war nicht unumstritten: Er stand im inneriranischen Machtkampf der 1950er-Jahre gegen Mossadegh, pflegte eine aufwändige Hofhaltung, rüstete die Armee massiv auf (allerdings auch in Anbetracht der Tatsache, dass sein Land vorher ein Spielball ausländischer Mächte wie GB und Russland/Sowjetunion war).
Der Schah setzte durchaus auch auf Modernisierungen, die aber als sehr technokratisch galten. Seine Weiße Revolution sollte soziale Ungerechtigkeiten etwas abmildern, galt aber als halbherzig.

Dagegen entwickelte sich eine Oppisition: Diese bestand aus Linken, Linksnationalisten und Islamisten.
Der Geheimdienst SAVAK war bemüht, diese Opposition unten zu halten.
Hier entstand ein Problem: Die Linken, die anfänglich die Opposition dominierten (man denke auch an die '68er-Proteste gegen den Schahbesuch in Berlin), konnten zwar durch Repressionsmaßnahmen unten gehalten werden. Dadurch gelang es aber der religiös-islamistischen Opposition, sich auf den Unmut draufzusetzen und innerhalb der Moscheen relgiöse Widerstandsnester aufzubauen.
Der Schah züchtete sich sozusagen eine starke Opposition heran. Diese wurde noch dadurch verstärkt, dass durch die Weiße Revolution viele junge Iraner die ländlichen Gebiete Irans verließen und um die Hauptstadt Teheran herum ein revolutioniäres Potenzial zu bilden begannen.

Die Haltung der iranischen Geistlichkeit ist sehr ambivalent. Einige Geistliche lehnten zunächst Einmischungen in die Politik ab. Andere dagegen, darunter Ayatollah Chomeini, mischten sich ein, lehnten aber zunächst die Weiße Revolution des Schahs ab, um ihm dann vorzuwerfen, er habe nicht genug für die Armen getan.
Die Interessen des Klerus waren durchaus zwielichtig: Es ging ihm nicht nur um soziale Gerechtigkeit. Er wollte vielmehr verhindern, dass ihm durch die Weiße Revolution zuviel Besitz verloren ging. Und er wollte verhindern, dass er durch die technokratische Modernisierung des Schah zu sehr an tradiertem Einfluss verlor.

Chomeini konnte sich zum Anführer der Revolution machen, ohne dass viele Iraner genau wussten, wie sein Programm war. Er konnte aber aufgrund seines Charismas die Oppositon vordergründig einigen.
Eine wichtige Rolle spielte die Tatsache, dass seine Leute während seines Exils im Irak viele Tonkassetten in den Iran einschmuggelten, was damals als "neues Medium" galt.
Als er dann in Frankreich widerwillig ins nächste Exil ging, stellte sich das mediale Potenzial des nichtislamischen Gastlandes als phänomenal heraus.

Ein wichtiger Faktor war, dass die religiösen Hardliner Anschläge auf Kinos verübten, die als Kern westlicher Propaganda galten. Bei einem Brandanschlag auf das Cinema Rex in Abijan, einer recht wohlhabenden Gegend, in der viele Arbeiter noch schahtreu waren, starben aufgrund der einfachen Bauweise des Kinos rund 400 Menschen. Der Anschlag war höchstwahrscheinlich islamistisch motiviert, wurde aber zusätzlich noch dem Schahregime in die Schuhe geschoben.

So konnte es passieren, dass der Schah, der Anfang der 1970er-Jahre noch kraftstrotzende Paraden mit Kämpfern in modernen und historischen Uniformen abhielt, von Ende 1977 bis 1979 in recht kurzer Zeit gestürzt werden konnte. Der Schah floh ins Exil, Chomeini kehrte in einem Passagierflugzeug nach Teheran zurück - begleitet von internationalen Journalisten (einschließlich Peter Scholl-Latour), die sicherstellen sollten, dass das Flugzeug nicht abgeschossen würde und die sich nach anfänglichen Straßenkämpfen als neutral erklärenden Armeeführer wurden hingerichtet.
Einige Geheimdienstler des SAVAK wurden ebenfalls hingerichtet, doch dann merkte man, dass man die Erkenntnisse des Dienstes im heraufziehenden Kampf gegen den Irak Saddam Husseins benötigen würde.




 

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