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Sonntag, 11. Februar 2024

MAURO DE MAURO

Mauro De Mauro



* 06.09.1921 in Foggia
+ 16.09.1970 in Palermo (wahrscheinlich, nach Entführung)

Mauro De Mauro war ein italienischer investigativer Journalist. Anfangs sympathisierte er mit dem Faschismus und zwar auf besonders militante Weise. Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied er sich dagegen für eine Laufbahn als Journalist bei linken oder linksliberalen Medien.
Dabei deckte er Verbindungen von Politik, Wirtschaft, Sicherheitsapparat und dem organisierten Verbrechen ("Mafia") auf. Dies wurde ihm zum Verhängnis.
Mauro De Mauro verschwand 1970 und wurde wahrscheinlich ermordet.


LEBEN UND BERUF

De Mauro stammte aus einer einflussreichen italienischen Familie und war lange Zeit ein Anhänger des italienischen Faschismus.
Sein Vater Oscar entstammte einer Familie von Ärzten und Pharmazeuten. Seine Mutter Clementina Rispoli war Mathelehrerin. Sein jüngerer Bruder Tullio war Sprachwissenschaftler und 2000/01 Erziehungsminister.

Auch nach der Landung der Alliierten in Italien im Jahre 1943, der vorübergehenden Absetzung Mussolinis im Juli und dem Waffenstillstand im September (Mussolini wurde später von einem deutschen Kommando befreit und in Norditalien wieder eingesetzt) hielt De Mauro am Faschismus fest. Er arbeitete für die radikalfaschistische norditalienische Italienische Sozialrepublik (Repubblica Sociale Italiana, RSI) und wirkte dort aktiv bei der blutigen Unterdrückung von Widerständsgruppen mit.
Man vermutet auch, dass daher De Mauros verunstaltete Nase kam. Sie soll von einem politischen Gegner zertrümmert worden sein.
De Mauro wurde im April 1945 in Mailand festgenommen, konnte dann aber mit seiner Familie aus der Toscana nach Neapel fliehen, wo er später wieder festgenommen und vor ein Gericht gestellt wurde. Dort kam er relativ glimpflich davon.

Umso überraschender und irritierender war es für viele Antifaschisten nach 1945, dass De Mauro nun die Seiten wechselte und als linker oder linksliberaler Journalist  zu arbeiten begann.
De Mauro zog 1948 nach Palermo um und arbeitete für diverse Zeitungen wie "Il Tempo di Sicilia" oder "I Mattino di Sicilia". Ab 1959 war er für die überregionale "L'Ora" tätig. Hier konnte er - wenn auch jetzt für die andere Seite - seine Neugier und seine investigativen Fähigkeiten aus der Zeit des Faschismus anwenden. De Mauro entwickelte sich immer mehr zum Aufdecker.

De Mauro konzentrierte sich besonders auf die Aufklärung von Mafiastraftaten und um die Vernetzung der Mafia mit Politik, Wirtschaft und Sicherheitsapparat.


Enrico Mattei (1950)


Besonders zwei Ermittlungsstränge waren sehr heikel:


1. De Mauro untersuchte das Flugzeugunglück, dass den Energiemanager der "Eni", Enrico Mattei, getötet hatte. Mattei gehörte schon im späten Weltkrieg zur "katholischen Opposition" und kritisierte als Manager den starken Einfluss der USA in der Nachkriegszeit und die Rolle Frankreichs im Algerienkrieg. Mattei verhandelte auch mit der Sowjetunion und wollte die Ölländer stärker an den Profiten beteiligen.
Er warnte vor dem Oligopol der "Sieben Schwestern", also Anglo-Iranian Oil Company, Gulf Oil, Shell, Standard Oil of California, Standard Oil of New Jersey (Esso), Standard Oil of New York (Mobil) und Texaco.
Mattei war ein erfolgreicher und machtbewusster Manager, machte sich so aber auch viele Feinde. Er nutzte auch das Mittel der Bestechnung und glaube, Menschen für seine Zwecke instrumentalisieren zu können. Es gibt Aussagen, die auf eine gemeinsame Aktion der Mafia und "einiger Ausländer" hindeuten (Aussage von Gaetano Ianni), möglicherweise französischer Sicherheitsstrukturen. Auch ist es denkbar, dass ranghohe Mitarbeiter Matteis in das Komplott eingeweiht waren.
Wie Matteis Flugzeug verunglückte, ist nicht ganz klar. Es könnte entweder abgeschossen oder sein Höhenmesser manipuliert worden sein. Das Flugzeug flog im Oktober 1962 15 km vor dem Flugplatz Mailand-Linate in den Boden. Neben Mattei kamen der Pilot Irnerio Bertuzzi und der TIME-Journalist William McHale zu Tode.
Der italienische Filmemacher Francesco Rosi bat De Mauro 1970, noch einmal die letzten Tage Matteis für einen geplanten Film zu rekonstruieren. Dabei gelankte De Mauro an eine pikante Tonbandaufnahme, die er genauer auswerten wollte. Dann machte er den Kardinalfehler vieler Investigativen, dass er VOR der Veröffentlichung des Materials darüber sprach und verkündete, das Material würde Italien erschüttern.

2. De Mauro befasste sich in etwa zeitgleich mit dem faschistischen Politiker und ehemaligen Marineoffizier Junio Valerio Borghese. Er kannte Borghese noch aus seiner eigenen Faschistenzeit.
Junio Borghese entstammte einer hochangesehenen italienischen Adelsfamilie. Sein Vater war Diplomat. Er selbst machte Karriere bei der Marine, seit den frühen 1930er-Jahren auch auf U-Booten. Damals hatte das faschistische Italien den Anspruch, wie früher das Römische Reich den ganzen Mittelmeerraum zu beherrschen und stand damit beispielsweise im Gegensatz zu Mächten wie Großbritannien und Frankreich.
Auch in Libyen und Ostafrika hatte man Kolonialgebiete.
Es gibt klare Indizien, dass Borghese mit einflussreichen Gesinnungsgenossen für die Nacht vom 07. auf den 08.12.1970 einen Staatsstreich (Golpe Borghese) geplant hat, der aber aus ungeklärten Gründen kurz vor seiner Umsetzung abgeblasen wurde. Um das "Mindset" dieser Menschen zu verstehen, muss man nicht nur wissen, dass sie aus einer faschistischen Diktatur stammten und nach dem Weltkrieg in den Kategorien des Kalten Krieges dachten, sondern auch, dass damals um 1970 Portugal, Spanien und Griechenland alle Diktaturen waren. Aus Sicht der Putschisten war ihr Vorgehen daher konsequent.
An diesem Staatssteich sollen auch Politiker, Militärs, Geheimdienstler und Mafiosi beteiligt gewesen sein. Der spätere Ministerpräsident Giulio Andreotti war zumindest Mitwisser.
Borghese musste darauf ins franquistische Spanien fliehen und starb dort 1974 unter mysteriösen Umständen. Der ebenfalls nach Spanien geflohene und dann auch in Südamerika tätige Rechtsterrorist Stefano Delle Chiaie wurde von einigen Ermittlern mit Borgheses Tod in Verbindung gebracht. Die Beweislage ist aber dürftig.
Interessant ist auch der Fall der "cinque anarchici delle Baracca" von 1970:
Das waren 5 linke Studenten, die hochbrisantes Material über Verbindungen von staatlichen Stellen und organisierter Kriminalität erworben hatten und dann bei dessen Transport nach Rom von einem Lkw gerammt wurden und den Tod fanden.
Ihre Namen sind: Annelise Borth, Angelo Casile, Franco Scordo, Gianni Aricò und Luigi Lo Celso.
Der Lkw-Fahrer, der den Unfall verursacht hat, arbeitete für eine Firma, die mit Borghese in Verbindung gebracht wurde. Einige Familienmitglieder der 5 Getöteten waren vorher von politischen Polizisten gewarnt worden. Das Material verschwand.



Junio Valerio Borghese (1944, koloriert)


Der erste oder der zweite Punkt oder beide werden als Hauptursache dafür angesehen, dass De Mauro am 16.09.1970 in Sizilien verschwand.
Es gibt aber noch eine dritte Erklärung für sein Verschwinden: De Mauro soll auch noch einen Drogenschmuggel-Ring zwischen Sizilien und den USA aufgedeckt haben.
Seine Leiche wurde nie gefunden (Prinzip der "Lupara bianca", also der weißen Wölfin/Schrotflinte, nach dem die Tat heimlich verläuft und nicht zur Schau gestellt wird).
(Erst) im Jahre 2021 wurde aber eine Leiche in einer Felshöhle am Ätna gefunden, bei der es sich um die De Mauros handeln könnte.

Die Zeitung "L'Ora" bittet 5 Tage nach De Mauros Verschwinden um Hilfe.


Bei der Ermittlung von Motivlage und Tathergang brachten möglicherweise Aussagen des Pentito (reuigen Gangsters) Gaspare Mutolo im Jahre 1994 etwas Licht ins Dunkel.
Er sagte aus, dass De Mauro am besagten Tag (16.09.70) von der Mafia/Cosa Nostra entführt und erdrosselt wurde.
Ähnliche Aussagen machte auch der Pentito Rosario Naimo nach seiner Verhaftung und während einer Gerichtsverhandlung 2011.

Nach Naimos Aussage war der Mafiaboss Salvatore "Toto" Riina der Auftraggeber der Entführung und des Mordes. Das Motiv sei die Berichterstattung De Mauros gewesen. Diese sollte unterbunden und Mauros Quellen erforscht werden.
Die Tat konnte aber laut einem Gericht in Palermo nicht zweifelsfrei Riina zugeordnet werden (2011).
Ein anderer Pentito, Francesco Di Carlo, nannte als Motive De Mauros Ermittlungen und sein Wissen über den geplanten Staatsstreich durch Junio Valerio Borghese.


QUELLEN

Wiki
vivi
-
Ciurzi, Candida: Blood and Fear in Italy;
in: Nancy J. Woodhull/Robert W. Snyder (Hg.): Journalists in peril; New Brunswick (NJ), Transaction Publishers 1998
Popham, Peter: Revealed: how story of Mafia plot to launch coup cost reporter his life; The Independent, 19.06.2005



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