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Montag, 9. Dezember 2013

WERNER "MUCKI" PINZNER

SPITZNAME: DER ST. PAULI-KILLER



* 1947
+ 1986

Werner "Mucki" Pinzner war ein deutscher Arbeiter, Bordellwirtschafter und Auftragsmörder.

Anhang:
Crime-Pool
Die Banden auf St. Pauli



JUGEND

Er wuchs in Hamburg in einem problematischen Wohnumfeld auf. Sein Vater war Rundfunkmechaniker, seine Mutter arbeitete in einer Lebensmittelfiliale. In der Familie gab es permanent Streit.
Pinzner galt schon in der Schule als faul, wenn auch nicht ohne eine gewisse Bauernschläue. Er schikanierte schon damals andere Mitschüler. Auch kannte er den späteren Zuhälter Stefan Hentschel, dessen Eltern aus der DDR geflüchtet waren. Hentschel erzählt in seiner Autobiographie von einer frühen Begegnung in der Schulzeit, wo er innerhalb seiner Jugendbande eine Waffe aus dem Zweiten Weltkrieg "sichergestellt" hatte. Pinzner wollte auch mit dieser Waffe spielen, durfte es aber nicht und verpfiff daraufhin die Kameraden bei der die Polizei (Quelle: Ariane Barth - Im Rotlicht. Das explosive Leben des Stefan Hentschel). Pinzner begann schon früh mit Straftaten.
Mitte der 60er-Jahre fuhr Pinzner zur See, arbeitete als Fahrer und machte einige andere Kurzzeitjobs. Bei der Bundeswehr gefiel es ihm, aber eine längere Anstellung scheiterte an seinen bereits gesammelten Vorstrafen. Einige Vorgesetzte schätzten aber seine Durchsetzungsfähigkeit.


FRÜHE 70ER-JAHRE UND HAFTSTRAFE

Pinzner lernte zum Jahrzehntwechsel seine Frau kennen und bekam mit ihr 1971 seine Tochter Birgit. Doch schon ab 1970 sammelte Pinzner auch Gefängnisstrafen. Seine Frau hielt aber zunächst zu ihm, weil sie um seine gewaltintensive Kindheit wusste. Bei seinen Gefängnisstrafen soll Pinzner auf den Freigängen mehrere "Brüche" verübt haben. Zusätzlich arbeitete er in Schlachtereien und als Gerüstbauer.
Seine Ehefrau tolerierte Pinzners Verhalten bis zu einem gewissen Punkt, wollte sich ihm aber nicht unterordnen, was Pinzner einmal bis an den Rande eines Selbstmords gebracht hat. Das änderte sich, als er 1975 einen Supermarkt überfiel, bei dem der Leiter des Marktes erschossen wurde. Jetzt war für Pinzners Frau das Mass voll und sie liess sich scheiden. Bei dem Prozess wegen des Überfalls lernte Pinzner bereits die spätere Milieuanwältin Leonore Gottschalk-Solger kennen, die in diesem Fall aber für die Gegenpartei arbeitete. Pinzner wollte mit ihr in seiner Zelle sprechen, doch "GoSo" lehnte ab - wahrscheinlich zu Recht, wie sich später herausstellen sollte (GoSo verteidigte u. a. Peter Nusser).


ENDGÜLTIGER EINSTIEG INS MILIEU

Im Gefängnis lernte Pinzner Milieugrössen kennen und den Handel mit Drogen zu schätzen. Neun Jahre sass er in der JVA "Santa Fu" Fuhlsbüttel und kam danach in den offenen Vollzug in Vierlande. Als er erwischt wurde, wie er einen Haschischbollen im Mund schmuggelte, bekam er noch einige Monate mehr aufgebrummt. Im Knast erhielt er auch seinen Revolver der Marke Arminius .38 Special mit zehn Zügen Rechtsdrall. Dieses spezifische Merkmal der Waffe sollte das Geschoss besser stabilisieren und wurde Pinzners Markenzeichen ("zehn Züge Rechtsdrall"), machte ihn aber auch für die Spurensicherung erkennbar. Auch die Bearbeitung der Waffe mit Schmirgelpapier half dann nicht mehr.
Pinzner nutzte die damaligen liberalen Sitten im Strafvollzug aus und verstaute den Revolver in seinem Schliessfach. Noch vor seiner Entlassung im Juli 1984 beging er weitere Straftaten.
Pinzner hatte das Problem, dass in der damaligen Zeit die Arbeitslosigkeit steil anstieg. Er fand auf dem robuster werdenden Arbeitsmarkt auch in einfachen Bereichen keinen Job mehr. In dieser Situation hielt er es für angemessen, das Milieu nach einer Anstellung zu fragen. Pinzner hatte mit der Zeit auch ausserhalb der Gefängnismauern während seiner Freigänge Kontakt zum Milieu. Dort wurde gerade ein "Enforcer" gesucht, da durch AIDS-Angst, Wirtschaftskrise und Kokainboom die Zeiten angespannter wurden.
Pinzner kam sich mit seiner Waffe und seinen "Manieren" stark vor, wurde aber auch in der Unterwelt nicht richtig anerkannt. Das machte ihn wiederum auch für die eigenen Leute gefährlich.
Pinzner inszenierte sich gerne als Kraftmax, auch wenn seine Muskelmasse nicht mit modernen gedopten Athleten vergleichbar war. Er liebte seinen Revolver heiss und innig, besass Kampfhunde und liess sich gerne auch nackt fotographieren. Einige Nacktfotos vergrösserte er auf Postergrösse und hängte sie bei sich zu Hause auf. Doch auch ein Pinzner war nicht ohne Schwächen: Er hatte an den Händen eine starke Allergie, die ausgerechnet auf seine Schusswaffen ansprang. So etwas kann vererbt sein, durch Allergene getriggert werden oder auch durch Stress verursacht oder verstärkt werden. Aus diesem Grund trug Pinzner seine Hände manchmal in Handschuhen oder Manschetten.


NACHGEWIESENE AKTIONEN

Im Juni 1984 beging Pinzner mit zwei Komplizen einen Raubüberfall auf einen ADAC-Geldboten, was möglicherweise ein Testfall war. Einige Experten meinen, er habe auch schon früher aus dem Knast heraus Straftaten begangen und war möglicherweise bereits in den Mord (Selbstmord?) an Michael Luchting 1982 beteiligt. Es lässt sich aber nicht mit Sicherheit sagen, ob er damals Freigang hatte oder nicht.
Im Juli 1984 erschoss Pinzner mit dem Komplizen Armin Hockauf den Zuhälter Jehuda Arzi. Arzi sollte erst durch Fingerabhacken eingeschüchtert werden, doch Pinzner wollte keine halben Sachen machen und auch keine "Leute quälen". Arzi war Zuhälter, Spieler und Drogendealer und erpresste seine Ex-Frau mit ihrer Milieuvergangenheit. Vielleicht erpresste er auch den Zuhälter Peter Nusser. Ausserdem kam er in Konstanz am Bodensee (Etablissement "Klein-Paris") und anderswo mit Konkurrenten im Rotlichtmilieu in Konflikt und versteckte sich deshalb in Kiel. Der Tip, dass er sich in dort aufhielt, kam übrigens aus Zuhälterkreisen in Karlsruhe, die damals gut mit Hamburg-St. Pauli zusammenarbeiteten.
Als nächsten Hit erschoss Pinzner Peter "Bayern Peter" Pfeilmeier. Es gab mehrere Gründe, warum Pfeilmeier im Milieu störte. Er geriet mit seinem Partner Peter "Wiener Peter" Nusser in Konflikt, hatte seine Finanzen nicht mehr im Griff, geriet oft mit Bordellgästen in Streit und war Beteiligter und damit Mitwisser des ADAC-Überfalls und möglicherweise einiger anderer Aktionen. Drogenabhängige, die über belastende Informationen verfügen, benutzen diese gerne für Erpressungen. Pfeilmeiers in vieler Hinsicht unkontrolliertes Verhalten hing sicher auch mit seinem hohen Kokainkonsum zusammen. Einmal geriet er auch in einen Streit mit dem Zuhälter Stefan Hentschel, der oben gerade mit einer Prostituierten zu Gange war, dort hörte, dass Pfeilmeier wieder Streit mit Freiern suchte ("den Lauten machte"), sich dann ein Handtuch umband und schliesslich Pfeilmeier mit der Faust niederstreckte (Quelle: Ariane Barth - Im Rotlicht. Das explosive Leben des Stefan Hentschel).
Einen Kokaindeal nutzte man auch, um Pfeilmeier in eine Falle zu locken. Werner Pinzner und Armin Hockauf liessen sich von Pfeilmeier in seinem Auto (Pontiac) durch die Gegend fahren und wussten angeblich nicht mehr genau, wo der Zielort war. Als Pfeilmeier dann hielt machte Pinzner einen Kommentar über den Seitenspiegel. Als Pfeilmeier dann zur Seite schaute, bekam er von schräg hinten einen Kopfschuss und war sofort tot. Pinzner bemerkte noch, dass Pfeilmeier ein Ei aus dem Kopf gewachsen sei, weil die Kugel noch im Schädel bei der Augenhöhle steckte. Pfeilmeier wurde tot in seinem Auto in einer Hamburger Wohngegend zurückgelassen, was eigentlich wegen möglicher Zeugen unprofessionell war.
Pinzner erhielt für seinen Hit jedoch nicht alle der zugesagten Vergünstigungen. Dadurch blieb er zwar abhängig und schwach, was wohl im Sinne seiner Auftraggeber war, wurde aber auch unberechenbar und rachsüchtig.
Der nächste Hit war der an Dietmar "Lackschuh" Traub, der auch ein Mitarbeiter von Peter Nusser war und auch durch überhöhten Kokainkonsum zunehmend die Kontrolle über sein Geschäftsgebaren verlor.
Dietmar Traub wollte sich auch dem gemeinsamen Bordell "Palais d'Amour" zurückziehen und betrieb auch separate Kokaingeschäfte, was den Luden auf St. Pauli nicht so gut gefiel. Traub war eigentlich ein schwäbischer Friseur, der in St. Pauli neben dem Puffgeschäft andere Aktivitäten betrieb. Man kannte ihn z. B. durch seine führende Rolle im MB-Club (offiziell Billard, inoffiziell Drogen und Glücksspiel), einem Hauptquartier der Unterwelt. Traub soll einerseits ein gefürchteter Karatekämpfer gewesen sein, wirkte andererseits aber auch sanft und provinziell. Dagobert Lindlau (Quelle: D. L. - Der Lohn-Killer) bringt ihn auch als Verdächtigen bei der Exekution von Fritz "Chinesen-Fritz" Schroer in Verbindung. Der Exekutor war Südländer oder nur verkleidet als Südländer, trug Schuhe mit erhöhten Absätzen wie Traub und die Nutzniesser des Hits waren Nusser und Traub. Ausserdem brüstete sich Werner Pinzner einmal, den Mörder des Chinesen-Fritz umgebracht zu haben (allerdings in Österreich).
Als Dietmar Traub im Raum München eine Prostituierte kontrollieren sollte, schlug das Milieu ihm einen Kokaindeal vor und lockte ihn damit in die Falle. Pinzners geruhsame Art traf im Milieu nicht gerade auf Gegenliebe. Jetzt musste der Hit klappen.
Mucki Pinzner war über Heilbronn angereist (Übernachtung bei Hannes Söhner, dem "Häuptling von Heilbronn"), holte Traub mit Armin Hockauf ab und erschoss ihn dann bei einer vorgetäuschten Autopanne. Dabei wurde der sterbende Traub noch mit den Füssen misshandelt, möglicherweise von Pinzner, da Traub ein vorheriger Geliebter von Pinzners Ehefrau Jutta war.
Der offiziell letzte Hit war der gegen die Gruppe um Waldemar Dammer und Stefan Hentschel geplant, zu der auch Guido Birke und Ralf Kühne (sowie andere) gehörten.
Diese Gruppe war tief im Rotlichtgeschäft aktiv und höchstwahrscheinlich auch im Kokaingeschäft.
Hentschel hatte anfangs eine Gruppe mit dem Geschäftsmann Axel Gantwurzel aufgebaut, an der auch ehemalige GMBH-Mitglieder beteiligt waren. Daneben arbeitete er aber auch mit Dammer zusammen.
Hentschel hatte eine gewisse Begeisterung für Afrika und die Karibik und Dammer war ein Mischling aus Bayern bzw. Franken. Beide interessierten sich ausserdem für das Boxen bzw. Kickboxen, waren "Kumpeltypen", schlugen gerne Gegner nieder, gingen oft auf Parties und hatten in Steigen im Eros-Center investiert, Dammer ins Hollywood und Hentschel in den Salon Mademoiselle und ins Bel-Ami (1982 fand dort die berühmte Schiesserei mit Nutella-Leuten statt, bei der Hentschel nicht anwesend war). Dammer zog aber aus seiner Heimat noch einen Tross von Adjutanten hinter sich her, von dem ihm einiger Ärger drohte.
Bei einem Dealertreffen der Gruppe wollte man Dammer, Hentschel & Co. abpassen. Die selbstbewusste bis über-selbstbewusste Bande um Dammer und Hentschel ist sehr schnell zu grosser Macht emporgestiegen und provozierte ihre Gegner mehrfach öffentlich. Dabei kam es auch dazu, dass sie den Zuhälter Peter Nusser vor Augen seiner Prostituierten zusammenschlugen. Personen der Gruppe griffen aber auch Vertreter des Chikago sowie Heilbronner Zuhälter auf Besuch an, die gerne in Indianerkonstümierung Feste feierten. Pinzner als Hitman gegen die Gruppe um Hentschel und Dammer wurde sicher von Peter Nusser, wahrscheinlich aber auch von der ganzen Chikago-Gruppe unterstützt. Man drängte den gemächlichen Pinzner sogar dazu, ein bisschen schneller zu machen, weil man sonst andere Killer holen würde.
Ein sich anbahnendes Treffen bei Dammer, bei dem es wohl auch um Drogengeschäfte mit US-Kriminellen ging, sollte dafür genutzt werden. Als Aufhänger hatte man den Dammer-Vertrauten Siggi Träger umgedreht, der nun als Türöffner für Pinzner dienen sollte. Träger hatte wahrscheinlich auch etwas mit Dammers Frau.
An sich war der Plan gut eingefädelt und die beiden Hitmen gut vorbereitet. Auffällig ist nur, dass 2 - 3 Personen aus dem erwarteten Kreis in der Szenerie fehlten.
- Stefan Hentschel war gar nicht zugegen, weil er sich gerade auf Urlaub befand. Möglicherweise ist er von einigen aus dem Milieu gewarnt worden. Gerüchteweise hat man ihm gesagt "Pass auf, Stefan, für dich sammeln sie auch schon!". Hentschel soll seinerseits vorher gedroht haben, seine Gegner "auf dem Zettel" zu haben. Das wird bei Dagobert Lindlau behauptet (Quelle: D. L. - Der Lohnkiller), ebenso wie die Tatsache, dass Hentschel sicherheitshalber belastendes Material gegen die Chikago-Leute bei seinem Anwalt deponiert hatte. Seinen Kompagnon Dammer hat er aber nicht gewarnt. Anscheinend ist aber Dammer bei früheren Treffen aufgefallen, dass er beschattet wurde, nur konnte er den beobachteten Pinzner nicht zuordnen ("Du kannst mir in den Schuh scheissen, der wollte mich töten!").
- Guido Birke war ebenfalls nicht am Tatort anwesend, weil er angeblich in einem Stau steckte. Hier stellten sich den Ermittlern Fragen, weil er ja Pinzner seinen berühmten .38er-Revolver in Spezialausführung besorgt hat. Hat Pinzner ihn gewarnt?
- Dammers Ehefrau ist auch nicht anwesend gewesen, sondern war gerade beim Bäcker Kuchen holen. Auch hier ist nicht klar, ob es sich um einen Zufall handelte. Pinzner und Träger wollten sie auf jeden Fall nicht im Schussfeld haben. Ausserdem war die Frau inzwischen mit Männern der Gegenseite liiert.
So oder so griffen Pinzner und Träger an, möglicherweise logistisch unterstützt von Joe Marx. Sie betraten Dammers Wohnung, wo sie nur einen Teil der Zielgruppe vorfanden, gingen für den geschäftlichen Teil in den Keller und gerieten gleich in Streit. Dammers Assistent Ralf "Korvetten-Ralf" Kühne konnte es nicht ertragen, dass der illoyale Träger in der Hierarchie jetzt über ihm stehen sollte.
Träger zog darauf schnell die Pistole und erschoss Kühne und Dammer. Dammer drehte sich dabei tot auf seinem Bürostuhl und hatte später beim Auffinden blau unterlaufene Augenlider wie ein Transvestit.
Auf dem Rückweg wechselten Pinzner und Träger das Fluchtauto und brachten sich in Sicherheit. Pinzner soll später noch demonstrativ auf dem Kiez vorbeigefahren sein, um ein Alibi zu haben und andere einzuschüchtern. Er prahlte, dass es in Hamburg-Schnellsen "5 aus 38" gab (38er-Revolver).
Für diesen schweren Hit sollten Dammer und Träger eigentlich 60.000 DM erhalten (pauschal als "Package Deal"). Da sie aber nur Dammer und Kühne trafen und davon nur Dammer zur vorher anvisierten Gruppe gehörte, sollte Pinzner weniger bekommen. Pinzner konnte sich aber insoweit durchsetzen, dass er nicht nur 20.000 DM bekam.

Nun stellte sich die Frage, was noch zu tun sei. Die Zuhälter auf St. Pauli wurden zunehmend grössenwahnsinnig und versuchten, sich immer mehr Städte (West-) Deutschlands untertan zu machen.
Dabei schauten sie nicht mehr nur auf nahe Städte wie Hannover oder Kiel, sondern auch auf Süddeutschland und hier beispielsweise auf Heilbronn. Heilbronn am Neckar lag auf einer Handelsstrasse in Richtung Frankfurt (auch illegal) und war durch seine damalige US-Garnison ein wichtiger Nachfragefaktor für Nutten und Drogen.
St. Pauli versuchte nun, über die Karlsruher Zuhälter als Hebel zunehmend Kontrolle über Heilbronn zu bekommen. Die dortigen Zuhälter unter der Führung des selbstbewussten Hannes Söhner wehrten jedoch mehrere Angriffe ab, konnten aber nicht verhindern, dass einige ihrer Männer zusammengeschlagen wurden. Man vermutet auch, dass Söhners Männer ihrerseits einige konkurrierende Etablissements von Karlsruhern in Heilbronn angezündet haben.
Einen Angriff von Chikago-Leuten auf Söhners Hauptquartier "Je t'aime" an der Neckarsulmer Strasse (seit den frühen 80ern bis heute in Betrieb!), an dem auch Ringo Klemm und Kalle Schwensen beteiligt gewesen sein sollen, schlug aber fehl, da Söhners Leute das Anwesen rechtzeitig schützen konnten und die Angreifer unverrichteter Dinge auf zerstochenen Reifen wegfahren mussten.
Nun sollte Pinzner auch da für Ruhe sorgen, machte aber zunehmend Probleme. Pinzner war erstens selber ein Intensivkonsument, zweitens fühlte er sich mehrfach von den St. Paulianern betrogen und drittens mochte er Söhner ("ein Grader") und kannte ihn noch von seiner Übernachtungsaktion vor dem Traub-Mord und der schönen Prostituierten, die er damals gebumst hatte. Auffallend war, dass die Kiezgrössen sogar schon beim Vorschuss für den Hit zögerlich waren. Es lag in der Luft, dass der Killer bald ausgedient haben würde und selber zur Beseitigung anstand. Angeblich soll angedacht worden sein, dass man Pinzners Leiche ausbluten lässt und dann ausgehungerten Kampfhunden zum Frass vorwirft, wie man es einst Hentschel angedeihen lassen wollte.
Pinzner weigerte sich, Söhner zu liquidieren und legte ihm die "Körner" seiner Revolvertrommel auf den Tisch ("Die sind für dich bestimmt!"). Danach und nach einigen frechen Bermerkungen Pinzners war in St. Pauli das Mass voll.
Pinzner stand zum Abschuss frei. Dass er nicht liquidiert wurde, lag nur daran, dass es noch zwei weitere Parallelentwicklungen gab, die mit den Killern des Killers um die Wette liefen. Zum einen war Pinzner inzwischen selber lebensmüde geworden und wollte sich mit einer Überdosis töten. Zum anderen waren die Fahnder ihm schon dicht auf der Spur und griffen ihn auf, bevor es die Unterwelt tun konnte.


FESTNAHME PINZNERS

Als Pinzner dann festgenommen wurde, wobei er sich zu seinen Ungunsten noch wehrte, kam er gleich in den Hochsicherheitstrakt, weil die Polizei Angst hatte, dass das Milieu ihnen den Killer wegschiessen wollte. Diese Vorsicht war berechtigt, denn das Polizeipräsidium wurde von nun an von aussen beschattet und herausfahrende Autos von Milieuautos verfolgt.
Als das keine Wirkung zeigte, versuchte das Milieu, im Gefängnis Häftlinge anzuwerben, die Pinzner töten konnten. Einige Rocker sagten zuerst zu, sprangen dann aber ab.
Zum Ärger des Milieus beschloss Pinzner nun erst recht, auszupacken. Er fühlte sich von seinen früheren Komplizen hintergangen. Pinzner sagte allerdings sehr zögernd aus und nicht gegen alle Gruppen gleich intensiv.
Gegen Peter Nusser packte er sehr gerne aus, da dieser ihn mehrfach ausgetrickst hatte. Bei seinen Helfern bei den Hits hielt er sich dagegen zurück, weil er mit ihnen gut zusammengearbeitet hatte. Erst das beharrliche Fragen der Fahnder und die Erinnerung daran, dass ihn Armin Hockauf um einen Teil seines Mörderlohnes betrügen wollte, liessen ihn umdenken.
Am schwersten tat Pinzner sich mit Aussagen gegen die Chikago-Gruppe. Die Fahnder wurden deshalb zunehmend ungehalten. Später kam heraus, woran das vermutlich lag: Pinzner hatte über seine Anwältin Kontakt zum Chikago aufnehmen lassen und Schweigegeld gefordert. Das Chikago hat ihm im Gegenzug mit Anschlägen auf seine Person oder auf seine Tochter gedroht. Wenn sich Pinzner aber das Leben nehmen würde, könnte seine Tochter aus dem Milieu eine Rente erhalten. Möglicherweise entstand hier auch die Idee, dass Pinzner dabei gleich noch den Staatsanwalt und vielleicht einige Polizisten erschiessen könnte. Das liess sich aber später nicht mehr nachweisen. Bei der Pinzners Anwältin wurden aber verdächtige Notizen gefunden.
Generell war Pinzner nicht zufrieden mit dem Verhalten seiner Anwältin. Sie hatte eigenmächtig Geschäfte mit Journalisten gemacht, um seine Story zu vermarkten. Die Presse erhielt von ihr Informationen, wann Pinzner Hofgang hatte und dass er über einen besonderen Abgang ("Exitus triumphalis") nachdachte. Deshalb belastete Pinzner, der in seiner Gefängniszelle Tagebuch schrieb, seine Anwältin ("die Friedenstaube") darin schwer. Der Name der Anwältin darf aus Gründen der Resozialisierung nicht mehr öffentlich genannt werden, ist aber in alten Spiegel-Ausgaben zu finden. Einige Ermittler vermuten, dass Pinzner sogar mit ihr eine Affäre hatte.


EXITUS TRIUMPHALIS - DER ABGANG

So oder so kam es jedoch nicht mehr zu einer weiteren Aussage Pinzners. Am 29.07.86 zog Pinzner plötzlich während der Vernehmung im Hochsicherheitstrakt (!) als Reaktion auf den Satz "na, dann schiessen Sie mal los!" einen Revolver und schoss dem Staatsanwalt Wolfgang Bistry direkt in den Kopf. Der Beamte verstarb später im Krankenhaus. Zwei Polizeibeamte, die Pinzner eigentlich bewachen sollten, verliessen ziemlich zügig das Vernehmungszimmer und warfen die Tür wieder zu. Zurück blieben noch Werner Pinzner, seine Frau Jutta und eine Schreibkraft. Die Schreibkraft musste dann zusehen, wie Pinzner seiner vor ihm knienden Frau in den Kopf schoss und sich schliesslich selber tötete.
Die Waffe für die Tat hatte nach heutigem Wissen die Anwältin in die Zelle geschmuggelt, mitsamt Kassibern und Drogen. Die Kontrollen waren sehr lax, der Staatswalt Bistry hat die Anwältin selber durchgewunken. Auch nach der Tat sind einige Gegenstände, die Pinzner in der Zelle versteckt hat, erst von Mitgefangenen beim Aufräumen gefunden worden.
Es verwundert daher nicht, dass eine solche Schiesserei mitten im Hochsicherheitstrakt des Polizeipräsidiums ein politisches Erdbeben ausgelöst hat. In Hamburg war die politische Lage wegen der Hausbesetzer-Szene sowieso schon angespannt, jetzt gewann die CDU durch das Blutbad gegenüber der SPD noch mehr an Boden. Und es standen Wahlen an. Hinzu kam noch die Jahreszeit. Viele Deutsche lagen im Sommerurlaub am Strand und freuten sich zuerst, dass der Hamburger Polizei durch die Ergreifung eines Auftragsmörders ein grosser Coup gelungen ist. Dann kam das Desaster im Präsidium!
Die Bild-Zeitung titelte: "St. Pauli-Killer schoss Staatsanwalt in den Kopf". In anderen Artikeln wurde berichtet, wie Pinzner sich für Gott hielt.
Auf dem Kiez sah man die Sache anders. Man war froh, dass Pinzner nun weg war und nicht mehr auspacken konnte. Gleichzeitig glaubten viele, dass er durch diese letzte Tat seine Ganovenehre wiederhergestellt habe. Deshalb wurde Pinzner zu Ehren ein Autokorso abgehalten.
Die geliebte Tochter von Pinzner, Birgit, erhielt zwar noch eine Zeit lang eine Rente vom Kiez, geriet dann aber in grössere Schwierigkeiten. Zuerst versuchte sie, im Bereich Fotographie und Medien Fuss zu fassen, doch dann kamen die Rückschläge. Gleichzeitig waren hinter ihr viele Boulevardjournalisten her, aber auch seriösere wie Peggy Parnass von "konkret" u. a. Birgit Pinzner ging nach einiger Zeit trotz des eindringlichen Rates ihres Vaters auf den Strich und nahm dann harte Drogen. Im Jahre 2003 verstarb sie (1971 - 2003).


DIE KONSEQUENZEN

Die Bluttat Pinzners hatte auf den Prozess nur eine begrenzte Auswirkung. Wichtige Aussagen waren bereits von Pinzner gemacht und ein anderer Bordelier, Gerd Gabriel, stützte diese. Gabriel arbeitete zwar lange Zeit mit Nusser und Konsorten zusammen, erfuhr dann aber, dass das Milieu dabei war, seine Bordellbeteiligung zu verkaufen, ohne ihn zu fragen. Das galt als sicheres Zeichen dafür, dass er umgebracht werden sollte.
Es kam zu langjährigen Haftstrafen gegen die Auftraggeber und Komplizen Pinzners, insbesondere gegen , Peter Nusser, Armin Hockauf und Siggi Träger.

Weitere Morde blieben aber unaufgedeckt. Da Pinzner verschiedene Angaben zwischen 8 und 13 machte, sind noch einige ungeklärte Fälle zu vermuten. Wenn man darauf schaut, welche Akteure damals auf St. Pauli den Stecker gezogen bekamen, so muss man an eine Reihe von Verdächtigen denken:
- Michael Luchting (1982):
Luchting war der Poussierer der GMBH und hing dann plötzlich in einem Hamburger Forst an oder neben einem Hochsitz; die Mörder können aber auch aus der GMBH selbst gekommen sein; vielleicht war es auch eine Zusammenarbeit über die Bandengrenzen hinweg; es bestand auf jeden Fall der Verdacht, dass es sich hierbei um eine unfreiwillige Selbsttötung gehandelt hat, zumal die beiden Abschiedsbriefe von Luchting seltsam formuliert waren; Janny Gakomiros vom Chikago stützte diese These
- Dieter Mohr, Heinz Dieter Förster (1982):
Michael Luchting hatte zwei Statthalter in Hamburg, die seine Interessen auf dem Kiez während seiner Abwesenheit in Spanien verteidigen sollten; beide wurden erschossen; einer davon (Mohr) wurde von einem Hit-Team aus zwei Männern erschossen, die sich durch Verkleidung als Polizisten Zutritt zum Haus verschafften (Ähnlichkeiten zum Mord an Jehuda Arzi, wo die Täter als Handwerker verkleidet waren)
- Frank Schrubarz (1982):
Schrubarz, genannt Sachsen-Franky, war eine wichtige Figur innerhalb der GMBH und wurde angeblich von einer Ex-Freundin in seiner Wohung erschossen. Es ist aber nicht sicher, ob es da nicht noch weitere Tatbeteiligte gab. Machtkämpfe innerhalb der GMBH und mit anderen Gruppen waren damals zahlreich.
- Charlie Lienau (1984):
Der Kieler Bordellier Lienau wurde erschossen und in ein Ölfass einbetoniert in einem Hamburger Kanal gefunden; das Material war nicht schnell genug hart geworden, so dass das Fass oben schwamm ; interessant für die Fahnder war die Beschreibung der beiden Käufer des Fasses, ein Mann mit Bart und ein Mann mit einer Hand in Manschette (Pinzner zeigte an seinen Händen allergische Symptome);
bei diesem Hit wäre Pinzner auch schon in Freiheit gewesen - bei den anderen hätte er nur einen Freigang nutzen können!

Nach den Urteilen gegen die Auftraggeber und Komplizen Pinzners wollte der Staat auch mit dem Chikago-Clan aufräumen. Einige Vertreter konnten direkt festgenommen werden, andere entkamen nach Costa Rica und mussten auf politisch-diplomatischem Wege zurückgeholt werden.
Das juristische Vorgehen gegen das Chikago liess sich aber nicht so leicht umsetzen, denn die Beweislage war relativ dünn. Es ging vor allem um Reinhard Ringo Klemm und Kalle Schwensen. In der Kanzlei der Pinzner-Anwältin wurden einige Hinweise gefunden, die das Chikago belasteten, aber vor Gericht nicht ausreichten. Und Gerd Gabriel konnte oder wollte keine weiteren Details liefern. Günter Bonnet dagegen behauptete dagegen nicht nur eine Beteiligung des Chikago an den Pinzner-Anschlägen, sondern auch eine Beteiligung von Hamburger Kaufleuten an selbigen Aktionen. Hinter diesen Hintermännern sollen ausserdem internationale OK-Strukturen gestanden haben (i. e. Organisierte Kriminalität). Günter Bonnet fühlte sich von seinen ehemaligen Komplizen verraten und packte aus. Er galt aber als Aufschneider und deshalb nur bedingt zuverlässig.
Entscheidend war letztendlich auch, dass zwei weitere wichtige Zeugen nicht mehr aussagen konnten, nämlich Uwe "King Kong" Bolm (Leibwächter) und Bernd "Campari-Bernd" Wünsch (Kontaktmann). Beide wurden 1987 (einzeln) erschossen. Bolm wurde mit dem Auto in eine Einöde gelockt, wo ihm der Kopf weggeblasen wurde, Wünsch wurde erschossen hinter einem Komposthaufen gefunden. Die Auffindesituation deutete auf einen Leichentransport in einem Kofferraum hin.
Eine Beteiligung des Chikago lag nahe, allerdings waren beide Männer auch mit anderen Gruppen verfeindet,  z. B. ehemaligen GMBH-Mitgliedern, Rockergruppen und Geldverleihern, so dass weitere Verdächtige in Betracht kamen. Bei dem psychisch labilen Bernd Wünsch konnte sogar ein Selbstmord nicht ausgeschlossen werden.
So wurden gegen die Verdächtigen des Chikago nur geringe Haftstrafen, u. a. wegen des Besorgens von Pinzners Waffe, verhängt.

Der Fall Pinzner gibt einen umfangreichen, wenn auch nicht kompletten Einblick in die Hamburger Unterwelt im Kiezkrieg der 80er-Jahre. Einige seiner Morde bleiben ungelöst. An den vielen Morden, die sonst noch geschahen, sieht man aber, dass Pinzner nicht der einzige Killer auf dem Kiez gewesen sein kann. Man muss sich also für einen Gesamteindruck vom Milieu ein grosses Dunkelfeld vorstellen.



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