08.02.2025 - 09.08.2025
* 17.02.1988, in Wien
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Natascha Kampusch (2019) |
Natascha Maria Kampusch ist eine österreichische Autorin und ein Entführungsopfer. Sie arbeitet auch als Moderatorin, Buchautorin und als Schmuckdesignerin.
Medial bekannt wurde Natascha Kampusch dadurch, dass sie 1998 entführt wurde und achteinhalb Jahre später, im Jahre 2006, ihrem Entführer Wolfgang Priklopil entkam (entkommen sein soll).
Es gibt allerdings auch alternative Tattheorien.
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JUGEND UND ENTFÜHRUNG
Natascha Maria Kampusch wurde 1988 in Wien geboren und wuchs in einer spannungsreichen Familie auf. Besonders das Verhältnis zu ihrer Mutter war angespannt.
Die Eltern von Kampusch waren nicht miteinander verheiratet. Ihr Vater war der Bäckermeister Ludwig Koch, ihre Mutter die Schneiderin Brigitta Sirny (geb. Kampusch).
Die Eltern trennten sich, als Natascha noch ein Kind war. Mütterlicherseits hat sie zwei Halbschwestern, die 19 und 20 Jahre älter als sie sind.
Vor ihrer Entführung besuchte Kampusch die 4. Klasse der Volksschule.
Im Jahre 1998 wurde Natascha Kampusch im Alter von zehn Jahren von dem arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil in Wien mit einem weißen Kleintransporter entführt und anschließend in dessen Haus im Bezirk Gänserndorf (östlich von Wien) gefangen gehalten.
Natascha Kampusch war aber nicht die ganze Zeit räumlich gefangen, sondern lebte mit Priklopil zusammen und ging mit ihm z. B. einkaufen (und wurde dabei auch gesehen).
FREIHEIT UND ERMITTLUNGEN
Im Jahre 2006 soll Kampusch ihrem Entführer Priklopil entkommen sein.
Dieser nahm sich angeblich aus diesem Grund am 23.08.2006 das Leben, indem er sich vor einen Zug warf.
Als Kampusch wieder frei war, löste das ein internationales Medienecho aus. Nach eigenen Angaben hat sie sich selbst befreit. Bei der Polizei machte sie allerdings kurz nach der Befreiung widersprüchliche Aussagen. Ihre ersten Aussagen klangen so, als ob sie nicht die ganze Wahrheit sagen dürfe.
Natascha Kampusch hatte kurz danach Auftritte in den Medien.
Berühmt war v. a. ihr erstes Interview im ORF mit Christoph Feurstein.
Aus Sicht von Polizei und Staatsanwalt war der Sachverhalt klar:
Wolfgang Priklopil hat Natascha Kampusch entführt und sie über 8 Jahre festgehalten. Dann konnte sie fliehen und aus Angst vor Entdeckung und Strafe warf sich Priklopil vor einen Zug.
Aus Sicht von Politik, einigen kritischen Ermittlern und Internet war der Sachverhalt nicht klar:
Man stellte sich v. a. die Frage, ob es neben Wolfgang Priklopil noch einen oder mehrere Mittäter oder Mitwisser gab, z. B. den Geschäftsmann Ernst H. aus Priklopils Bekanntenkreis.
Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, ob die Täter einen illegalen Handel mit Erotica betrieben haben und wer dann ihre Kunden waren bzw. gewesen wären.
Im Juni 2010 beging der Ermittler Oberst Franz Kröll angeblich Suizid. Kröll teilte die offiziellen Sichtweisen nicht und sah die Ermittlerung durch Polizeivorgesetzte und Staatsanwälte behindert. Sein Bruder zweifelt an der Todesursache Suizid.
Im Parlament in Wien versuchten v. a. rechte Oppositionsparteien wie FPÖ und BZÖ die Ermittlungen am Laufen zu halten und stellten besonders 2011 viele dringliche parlamentarische Anfragen an Justizminsterin Beatrix Karl (ÖVP).
Anfang 2012 kam ein parlamentarischer Ausschuss in Wien unter dem
Vorsitzenden Werner Amon (ÖVP) zu dem Ergebnis, dass der Fall noch nicht
abgeschlossen werden dürfe.
Besonders Teile der ÖVP drängte aber auf einen Abschluss, unterstützt von dem konservativen Spitzenbeamten Christian Pilnacek (+ 20.10.2023).
AUFTRITTE IN DEN MEDIEN
Natascha Kampusch zielte derweil eine Medienkarriere an.
Im Jahre 2008 bekam sie sogar eine eigene TV-Talkshow namens "Natascha Kampusch trifft".
Dort sprach sie mit prominenten Gästen wie Niki Lauda.
2010 veröffentlichte sie ihre Autobiographie "3096 Tage". Coautoren waren dabei Heike Gronemeier und Corinna Milborn. Das Buch war sehr erfolgreich und belegte auf einigen Bestsellerlisten Platz 1.
2016 veröffentlichte sie "10 Jahre Freiheit". Coautorin war diesmal Heike Gronemeier.
2019 veröffentlichte sie "Cyberneider - Diskriminierung im Internet" mit Niki Uzelac.
2022 veröffentlichte sie "Stärke zeigen - Bewältigungsstrategien für ein kraftvolles Leben" mit Judith Schneiberg.
ALTERNATIVE TATTHEORIEN
Es gab von Anfang an gewisse Zweifel an der offiziellen Tathergangsbeschreibung. Es ist im Einzelfall schwer herauszufinden, was davon begründete Zweifel und was "krude Verschwörungstheorien" (zumal aus dem Internet) sind.
Es ist aber auffällig, dass auch etablierte Medien aus Österreich und aus Deutschland (z. B. FOCUS, KURIER, Der Spiegel) über alternative Tathergänge spekulieren.
Erstens gibt es Zweifel, ob Natascha Kampusch entführt wurde oder nicht stattdessen aufgrund des angespannten Verhältnisses zu ihrer Mutter entführt werden wollte. Es gibt auch Mischhypothesen, dass sie sich zuerst entführen ließ und dass dies dann aufgrund von Streitigkeiten zu einer echten Entführung wurde.
Diese Thesen berufen sich nicht nur auf das angespannte Verhältnis von Natascha Kampusch zu ihrer Mutter, sondern auf die Tatsache, dass Kampusch in den über acht Jahren ihrer Gefangenschaft mit Wolfgang Priklopil zusammen lebte und auch "regulär einkaufen" ging.
Sie war also nicht die ganze Zeit eingesperrt.
Andererseits kann es sich auch um eine innere (psychische) Abhängigkeit gehandelt haben.
Zweitens gibt es Zweifel, ob Natascha Kampusch
nur von einem Mann entführt wurde (oder sich entführen ließ) oder von mehreren. Es gibt mindestens eine Zeugenaussage, die auf zwei Männer hindeutet, nämlich die von Ischtar A.
Denkbar wäre, dass es sich dabei um Wolfgang Priklopil und einen befreundeten Geschäftsmann namens Ernst H. handelte.
Besonders seltsam mutet an, dass es Ernst H. "erlaubt" wurde - mit der falschen Begründung, er habe eine Erlaubnis von seiner Mutter - Gegenstände vom Tatort zu entfernen.
Darunter waren auch Computer mit Datenmaterial und eine Plastiktasche (-sack).
Später wurde berichtet, man habe bei Priklopil nur alte Heimcomputer der 80er-Jahre gefunden, was irrtümlich als Zeichen seiner "seltsamen Persönlichkeit" dargestellt wurde. Man kam nicht auf die Idee, dass modernere Computer vorhanden waren und dann weggeschafft wurden, wie auch Spuren an der Wand angedeutet haben.
Drittens wäre auch denkbar, dass hinter der Entführung ein ganzes
Netzwerk stand.
Zum einen hatte Ernst H. Kontakte zu hohen Männern aus dem Sicherheitsapparat:
Mindestens einem Bundesheer-Milizoffizier und einem hohen Polizeibeamten. Ernst H. hatte in seinem Mobiltelefon auch die Telefonnummer des Milizoffiziers.
Es gab auch Vermutungen über Komplizen aus Südwest- oder Süddeutschland. Und wenn es nicht Mittäter waren, so können es wenigstens Mitwisser gewesen sein.
Die Frage ist auch, ob in der Entführungszeit von Kampusch erotische Aufnahmen gemacht wurden und damit Handel getrieben wurde. Telefonkontakte von Ernst H. deuten auf Kontakte mit
Erotica-Händlern hin.
Interessanterweise fanden diese Kontakte auch dann statt, wenn Ernst H. kurz zuvor einen (Warn-?)Anruf aus den Kreisen von Sicherheitsbehörden bekam.
Dies könnte auch darauf hindeuten, dass die Entführer - vielleicht ähnlich wie im Falle von Marc Dutroux in Belgien - Kontakte zu "höheren Stellen" hatten, die dann auch die Strafermittlungen wirksam blockierten.
Viertens wurde auch die Frage aufgeworfen, ob
Wolfgang Priklopil wirklich
Suizid beging oder nicht stattdessen ermordet wurde, um den wahren Hergang und die Hintergründe der Geschichte zu verschleiern. Es sieht so aus, als habe aufgrund der Flucht von Natascha Kampusch die Nerven verloren. Einige Ermittler meinten, die Leiche Priklopils, der sich angeblich vor einen Zug geworfen habe, habe wie "abgelegt" gewirkt.
Auffällig an der Leiche war, dass Priklopils Körper fast unversehrt war, sein Kopf aber abgetrennt. So ein Bild ergibt sich selten, wenn man vor einen Zug springt.
Auch der Abschiedsbrief von Priklopil wirft Fragen auf: Er ist nicht mit der Hand geschrieben außer der Anrede "Mama", die aber nicht Priklopils Handschrift entspricht (eher der anderer Verdächtiger).
Vernehmungen haben ergeben, dass Priklopil und H. vor Priklopils angeblichen Suizid noch gemeinsam gesprochen haben und gemeinsam im Auto saßen. In diesem wurde später die DNS von noch einem weiteren Mann gefunden.
Fünftens hat nicht nur Wolfgang Priklopil angeblich
Suizid begangen, sondern auch der Ermittler Oberst
Franz Kröll (im Juni 2010), der die offizielle Tattheorie nicht teilte und den Eindruck hatte, Vorgesetzte in Polizei und Staatsanwaltschaft wollten die Ermittlungen sabotieren.
Die Zweifel basieren nicht nur auf den Phantasien von "Spinnern im Internet".
Man darf nicht vergessen, dass auch Politiker weitere Untersuchungen verlangten.
Zumindest sollte die Reihe von Zweifeln, die es in dieser Causa gibt, ausgeräumt werden.
Anfang 2012 kam - wie oben berichtet - ein parlamentarischer Ausschuss in Wien unter dem Vorsitzenden Werner Amon zu dem Ergebnis, dass der Fall noch nicht abgeschlossen werden dürfe.
Im FOCUS hat Autor Jens Bauszus die Ungereimtheiten im Februar 2012 in 8 Punkten zusammengefasst, die im Wesentlichen mit Darstellungen des Spiegel, des Kurier, Österreich oder 20min.ch übereinstimmen:
- Die einzige Augenzeugin der Entführung vom 02.03.1998 (Ischtar A., damals 12) behauptete wiederholt und trotz Gegenmeinung der Vernehmer, dass sie einen zweiten Täter gesehen hat. Priklopil habe Kampusch ins Wageninnere gezerrt, während ein anderer Mann habe am Steuer des weißen Kleintransporters gewartet habe.
- Offiziell benutzte Priklopil bei der Entführung seinen weißen
Kastenwagen. Auf seinem Grundstück wurde aber auch eine Fahrtenbuchtasche für ein Salzburger Kennzeichen gefunden. Ist dies ein Hinweis auf eine Mietwagenfirma?
- Einen Monat nach der Entführung erfuhr ein Polizeihundeführer von einem seltsamen Bewohner in Strasshof, der pädophile Tendenzen gehabt haben soll. Der Hinweis ging unter.
- Nach der Flucht soll Priklopil am 23.08.2006 vor eine S-Bahn gesprungen sein. Die Polizeifotos zeigen seinen Körper aber weitgehend unverletzt und seinen Kopf (fast) abgetrennt.
- Der Unternehmer Ernst H. war vermutlich mit Priklopil befreundet, obwohl er seine Kontakte als geschäftlich heruntergespielt hat.
Als Natascha Kampusch am 23.08.2006 geflohen ist, hat ihn Priklopil aber sofort um Hilfe gebeten.
Angeblich soll Priklopil bei einer Trunkenheitsfahrt der Polizeikontrolle entkommen sein. Danach sollen beide Männer noch 6 Stunden in H.s Wagen durch Wien gefahren sein, bis sich Priklopil dann vor einen Zug geworfen hat. Bei seiner ersten Vernehmung soll H. gesagt haben: "Hat ers umgebracht?"
Verdächtigt ist auch, dass der angeblich rein geschäftlich Bekannte nach dem Selbstmord mehrere Sachen aus Priklopils Haus mitgenommen hat, die angeblich nur verliehen worden seien.
Seltsam ist auch, dass Kampusch selbst H. kontaktiert haben soll: "Ja, wir telefonieren. Eines Tages hat sie mich angerufen." - Wenn Priklopil arbeitslos war, wieso hatte er in seinem Haus einen Safe mit Schecks und Belegen für Girokonten und Wertpapierdepots und wieso bekam er Geld von H. überwiesen?
- Natascha Kampusch soll ihrer viel älteren Halbschwester ins Ohr geflüstert haben:
"Hast eh nichts von der Schwangerschaft erzählt..."
Es gibt Gerüchte, die von der FPÖ gepusht wurden, dass Kampusch von ihrem Entführer ein Kind hatte. Angeblich wurden im Verlies eine Haarlocke und ein Buch über Säuglingspflege gefunden.
Ein weiteres Gerücht besagt, das Kind sei von Priklopil im Garten vergraben worden sein.
Bei der ersten Hausdurchsuchung 2006 schlugen Leichenspürhunde zwar an, es gab aber keine tieferen Grabungen. Man führte die "Fehlspur" auf modriges Holz zurück. - Der Chefermittler Oberst Franz Kröll sagte laut der Zeitung "Österreich" zu einem Journalisten - wenige Wochen vor seinem angeblichen Selbstmord im Juni 2010 in seiner Wohnung in Graz, bei dem er sich als Rechtshänder mit links erschossen haben soll (vgl. den Tod von Lütgendorf):
„Der Fall hat eine Dimension wie Lucona. Ich bin knapp davor, ihn zu lösen und die Kriminellen zu entlarven“.
Bis heute kam es aber nicht zu einer Gesamtaufklärung der Geschehnisse.
QUELLEN UND LITERATUR
Wikipedia
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FOCUS:
Bauszus, Jens: Einzeltäter oder Pädophilenring? Die acht größten Ungereimtheiten im Fall Natascha Kampusch; FOCUS; 29.02.2012
KURIER.at:
Kampusch: Politiker bezweifelt Einzeltäter;
Kurier.at; 28.02.2012
RHEINISCHE POST:
Felten, Uwe: Ungereimtheiten im Fall Kampusch. Gab es mehr als einen Entführer?
Rheinische Post; 12.07.2009
DER SPIEGEL:
Fall Kampusch. Entführer täuschte Lösegeld-Erpressung vor;
Der Spiegel (online); 30.08.2006
Jüttner, Julia: Fall Kampusch. Gutachten nährt Zweifel an Suizid des Entführers Priklopil;
Der Spiegel (online); 19.04.2016
20MIN.CH:
Kle: Nach Videoanalyse. Beweise im Kampusch-Verlies verschwunden;
20min.ch; 31.01.2013 (aktualisiert)
-
Grandt, Guido/Udo Schulze: Staatsaffäre Natascha Kampusch: streng vertraulich;
2013 (Verlag Weltenwandel)
Pelz, Martin: Der Fall Natascha Kampusch; Marburg 2010 (Tectum)
Pöchhacker, Walter: Der Fall Natascha: Wenn Polizisten über Leichen gehen;
Detektivagentur Pöchhacker; 2004
Reichard, Peter: Der Entführungsfall Natascha Kampusch: Die ganze beschämende Wahrheit;
2016 (Riva)
Röggla, Kathrin: Die Beteiligten; Theaterstück; 2009
Rzeszut, Johann: Der Tod des Kampusch-Kidnappers: Wahrheitsfindung im Würgegriff;
CreateSpace Independent Publishing Platform, 2016
Sirny-Kampusch, Brigitta: Verzweifelte Jahre. Ein Leben ohne Natascha;
mit Andrea Fehringer und Thomas Köpf; Wien 2007 (Ueberreuter)