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Das Gehirn mit beiden Hemisphären und Denkbereichen. |
17.08.2016 (07:50) - 05.06.2025
1. Einteilung der Geschichte als akademische Disziplin
Die Geschichte als akademische Disziplin lässt sich in verschiedene Bereiche untergliedern. Das ist an sich nicht neu.
Beispielsweise spricht man von Politischer Geschichte, Sozialgeschichte, Wirtschaftsgeschichte usw. Auch in Klausuren werden gerne derartige Erörterungseinteilungen verlangt, also zum Beispiel politisch - sozial - wirtschaftlich.
Es könnten noch viele andere Unterdisziplinen der Geschichte genannt und angewendet werden.
Ein Bereich aber, der häufig vernachlässigt wird, ist die Bewusstseinsgeschichte - genauso wie übrigens die Betrachtung des Bewusstseins selbst.
Die Bewusstseinsgeschichte grenzt an historische Unterdisziplinen, die es bereits gibt, namentlich die Geistesgeschichte, die Kulturgeschichte oder die psychologische Geschichte (nicht nur die Geschichte der Disziplin Psychologie).
Sie ist aber nicht mit diesen historischen Unterdisziplinen identisch.
2. Idealismus, Materialismus und Dualismus
Wenn wir die Bewusstseinsgeschichte betonten, bedeutet das nicht, dass die anderen Bereiche unwichtig wären und es bedeutet auch nicht, dass die materiellen Grundlagen wie wirtschaftliche Produktion und biologisches Funktionieren unwichtig wären.
Man denke an den Biologischen Materialismus eines Julien Offray de LaMettrie oder den Ökonomischen Materialismus eines Karl Marx.
Wir erinnern uns da auch an diverse Streitereien in der Philosophie zwischen Idealisten, Materialisten und Dualisten (- als vermittelnde Meinung?).
Eine frühe Ausformung nahm der Idealismus schon bei Platon an, später wurde er von vielen Denkern ausdifferenziert, beispielsweise im deutschen Idealismus.
Der Materialismus hatte frühe Ausprägungen bei den griechischen Atomisten wie Leukipp, Demokrit und Epikur und wirkte später im französischen Materialismus oder im Materialismus eines Ludwig Feuerbach oder Karl Marx, die als Jung- bzw. Linkshegelianer gewissermaßen auch auf den deutschen Idealismus antworteten.
Materialismus findet man aber auch als "abweichende Ansätze" (Nastika[s]) der Indischen Philosophie.
Der Dualismus erscheint z. B. in den Denkansätzen von René Descartes.
Aber auch das sind nur Beispiele.
gedankenwelt.de
Selbst wenn man materialistisch denkt, also dass der Geist von der Materie abhängig ist und nicht völlig unabhängig existiert, so muss man überlegen, ob man Geist und Bewusstsein nicht doch eine gewisse Autonomie zugesteht.
Wir stimmen den Materialisten in soweit zu, dass das menschliche Bewusstsein abhängig ist vom Funktionieren des Körpers. Ohne den Körper kann es nicht mehr sein. Das heißt aber nicht, dass so etwas wie Bewusstsein unwichtig wäre oder überhaupt nicht existiert.
Wir halten Bewusstsein weder für eine metaphysische Entität wie viele Religionen, schon gar nicht für eine unsterbliche, noch wollen wir den Begriff auf seine Bedeutung in den Bereichen Esoterik und "New-Äitsch" verengt wissen.
3. Geist und Bewusstsein
Im weiteren Sinne könnte man das Bewusstsein dennoch als Geist verstanden wissen, wenn auch eben nicht in einer metaphysischen Bedeutung.
Aber eine völlige Gleichsetzung der Begriffe Bewusstsein und Geist wäre eine Verengung. Denn der Begriff Bewusstsein setzt andere Nuancen.
Der Begriff Geist ist eher intellektuell gemeint.
Geistesgeschichte meint beispielsweise eher die Geschichte geistiger Auffassungen, Produkte und Konstrukte sowie von geistigen Leistungen wie mathematische Forschung oder literarische Werke. Auch Weltbetrachtungen können darunter sein oder vieles andere. Es geht also um geistige Tätigkeit und die daraus entstandenen kulturellen Gebilde.
Bewusstsein meint etwas Ähnliches, konzentriert sich aber stärker darauf, wie der Mensch die Welt subjektiv erlebt und empfindet. Es geht quasi darum, sich direkt in den Menschen hineinzuversetzen.
4. Die Darstellung von Bewusstseinsinhalten
Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert kam das Ziel der Darstellung von Bewusstseinsinhalten auch computertechnisch auf die Agenda. Man konnte zwar noch nicht direkt in den Menschen hineingucken, aber man konnte jetzt immer bessere 3D-Welten entwickeln, die aus der Ego-Perspektive erlebbar waren.
Mit der Erfahrbarkeit und Mitteilbarkeit von (3D-)Bewusstseinswelten am Computer ist ein jahrtausendealter Traum der Menschheit in Erfüllung gegangen, ohne dass dieses von den vielen 3D-Computerspielern ausreichend gewürdigt würde.
Denn früher mussten Menschen sich diesem Zustand über mündliche Erzählung nähern, dann mit Hilfe der Schrift, mit Zeichnungen, Malerei und mit Nachspielen, aus dem sich dann immer mehr die szenische Darstellung im Theater entwickelte. Szene hieß zunächst einmal nur Zelt.
Diese verschiedenen Darstellungsformen konnten nebeneinander existieren. Erzählungen wurden früher oft in Versform entwickelt, später mehr in Prosa.
Erst im 19. Jahrhundert kam dann die Photographie und schließlich zum Ende des Jahrhunderts der Film auf, der dann im 20. und 21. Jahrhundert technisch extrem verfeinert werden konnte. Schließlich kamen gegen Ende des 20. Jahrhundert leistungsfähige Computer auf, die die erwähnte Darstellung von dreidimensionalen Welten ermöglichten.
Bis zu diesen technischen Neuerungen in Folge der Industrialisierung und Technisierung war es aber ein weiter Weg. Zunächst einmal entwickelte sich das menschliche Bewusstsein ohne sie.
5. Die historische Bewusstseinsforschung
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Julian Jaynes |
Und da ist nun der Punkt an dem die Bewusstseinsgeschichte ansetzen muss:
WAS hatte der Mensch in seinem Bewusstsein?
Wir haben kulturelle Erzeugnisse, die andeuten, wie Menschen früherer Epochen gedacht haben mögen.
Der Französische Mediävist Philippe Ariès hat sich z. B. von der historischen Demographie zur Mentalitätsgeschichte entwickelt. Er hat die Geschichte der Kindheit erforscht, aber dann auch mit seinen Kollegen Georges Duby und Paul Veyne das Privatleben. Ariès arbeitete auch mit Michel Foucault zusammen.
Einen anderen Antwortansatz, wie sich das menschliche Bewusstsein in der Geschichte entwickelt hat, liefert uns Julian Jaynes (27.02.1920 - 21.11.1997).
Jaynes beschäftigte sich sich mit dem Zusammenhang zwischen Psychologie und Geschichte und kam zu der Ansicht, dass es ein (Ich-)Bewusstsein im modernen Sinne anfangs nicht gegeben hat. Seiner Meinung nach gab es früher eine bikamerale Psyche, also eine Psyche, die aus zwei Kammern besteht, nämlich einer göttlichen und einer menschlichen.
Nach Jaynes ist diese bikamerale Psyche dann zusammengebrochen, in vielen Kulturen des Mittelmeerraumes in der späten Bronzezeit um 1000 v. Chr. Hierfür ist schon ein Zeitrahmen von mehreren Jahrhunderten denkbar, z. B. von 1300 - 700 v. Chr.
Jaynes' Forschung zielte darauf ab, diese einfache aber schlagende These anhand von historischen und literarischen Quellen zu belegen. Seine eigene Erfahrung einer religiösen Erziehung, der er dann zunehmend kritisch gegenüberstand, half ihm dabei.
Man kann sich diesen Denkansatz ganz konkret vorstellen:
Bei Homer werden heroische Geschichten aus dem mykenischen Griechenland vor 1000 v. Chr. erzählt, bei denen die Helden immer wieder göttliche Befehle erhalten und oft befolgen.
Es entsteht der Eindruck, sie hätten in sich nicht ein Ich, sondern eben eine bikamerale Psyche.
Später ging dann dieses Denken immer mehr zurück und in der griechischen Philosophie entstand ein Ich-Bewusstsein.
Anzeichen einer bikameralen Psyche lassen sich auch in der ägyptischen Literatur und in Inschriften feststellen, ebenso in Mesopotamien.
Julian Jaynes wurde leider für seinen innovativen Ansatz in der Scientific Community sehr gemobbt, was sich negativ auf seine Gesundheit auswirkte.
Leider konnte er deshalb nur bedingt weiterforschen. Es wäre z. B. interessant gewesen, wenn er tiefer hätte erforschen können, ob bei Selbstmordattentätern diese bikamerale Psyche wiederhergestellt wurde.
So haben wir von Julian Jaynes über dieses wichtige Thema leider nur ein Hauptwerk, sowie mehrere Aufsätze und Interviews.
The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind. Houghton Mifflin, Boston/New York 1976
www.julianjaynes.org
Der Ansatz von Julian Jaynes wird heute von der Julian-Jaynes-Society fortgesetzt. In deren Namen hat Marcel Kuijsten das Werk The Julian Jaynes Collection von 2012 herausgegeben.
Ingo Wolf-Kittel stellte Jaynes Thesen kompakt dar und konfrontierte sie mit modernen Erkenntnissen in seinem Artikel Julian Jaynes. Ein moderner Blick auf die Mutation vom mythischen zum mentalen Bewusstsein. In Erinnerung an sein vor 30 Jahren erschienenes Werk.
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