Cor van Hout und Willem Holleeder vor Gericht (1987) |
Klaas Bruinsma
Holleeder suchte aufgrund der Spannungen in der Familie - ähnlich wie Klaas Bruinsma - Betätigung und Abenteuer außer Haus und schloss sich kriminellen jugendlichen Netzwerken an. Zu seiner Jugendbande gehörten neben Holleeder selbst sein Klassenkamerad Cor van Hout ("Flipper"), Jan Boellaard und Frans Meijer. Van Hout heiratete später sogar Holleeders Schwester Sonja. Die Gruppe war im Kleinkriminellen-Milieu und als Schlägertruppe tätig. Dies ist insbesondere wichtig, da sich auch in den Niederlanden in den 1970er-Jahren eine Hausbesetzerszene entwickelte. Hausbesitzer ließen so Hausbesetzer mit Gewalt räumen. Möglicherweise verübte die Gruppe auch Einbrüche oder Raubüberfälle.
Daneben begannen die Jugendlichen (krumme) Geschäfte im Gaststättengewerbe und gründeten die Firma "Epan B. V.". Die Firma ging aber nach einiger Zeit in Konkurs. Danach vermittelten die Täter illegal Beschäftigte in den Bausektor und stiegen später in den Immobilienhandel ein. Holleeder verdiente sich durch seine Gerissenheit mehrere Spitznamen, einer davon war wegen seines Äußeren "Die Nase".
Ein besonders spektakulärer Coup war am 09.11.1983 die Entführung des Vorstandsvorsitzenden der Heineken-Brauerei Alfred "Freddy" Heineken und dessen Chauffeurs Ab Doderer. Daran waren neben Holleeder mindestens vier Mittäter beteiligt. Die Entführer erhielten 35 Millionen Gulden (ca. 16 Mio. Euro) Lösegeld von der Familie (gegen den Willen der Polizei), von denen ein Teil bis heute noch nicht wieder aufgetaucht ist. Insbesondere der Verbleib von Holleeders Anteil ist unklar.
Es wird vermutet, dass die Täter von den 35 Mio. 15 Mio. unter sich aufteilten (: 5) und 20 Mio. in Maarsbergen (Utrechtse Heuvelrug) vergraben haben.
Nach der Freilassung von Freddy Heineken wurden die Entführer Willem Holleeder, Cor van Hout, Jan Boellaard, Frans Meijer und Martin Erkamps gefasst und verurteilt. Man erkennt eine Kontinuität des "Personals" seit Beginn von Holleeders krimineller Karriere!
Holleeder erhielt elf Jahre, wurde aber bereits 1992 entlassen. Damit kam er gerade zum rechten Zeitpunkt frei, als durch den Tod von Klaas Bruinsma in der holländischen Unterwelt eine "Marktlücke" entstand.
In der Haft hielt Holleeder weiterhin Kontakt zur Organisierten Kriminalität und knüpfte auch neue Beziehungen. Besonders wirksam wurde sein Kontakt zu John Mieremet, der später mit Holleeder hinter dem Mord an Holleeders ursprünglichem Freund Cor van Hout gestanden haben soll (beide als Auftraggeber). Andere Kriminelle waren Yvon Lodewijks, der auch hinter der van-Hout-Ermordung gestanden haben soll und Dennis Stewart.
An Holleeders Verbrecherring sollen an die zwei Dutzend Personen beteiligt gewesen sein.
Holleeder finanzierte sich weiterhin durch kriminelle Geschäfte wie Erpressung. Auch soll er mit dem noch-Verbündeten Cor van Hout sein verbliebenes Geld aus der Heineken-Entführung gewinnbringend angelegt haben. Eines seiner Erpressungsopfer und gleichzeitig sein Geschäftspartner aus der "Oberwelt" war der begabte Banker Willem Endstra. Endstra war Finanzmanager, Immobilienmakler und wahrscheinlich auch an Geldwäsche beteiligt.
Nach der Ermordung von Cor van Hout 2003 (inzwischen Holleeders Schwager!) kam es zu Dissonanzen zwischen Holleeder und Willem Endstra, so dass er 2004 auch ihn ermorden ließ. Gerüchteweise hatte Endstra Kontakte zur Polizei aufgenommen.
Endstra soll gesagt haben, dass Holleeder bis dato hinter 25 Morden stand. Dadurch wurde Endstra zu einer Gefahr für das Milieu. Hinter seiner Ermordung sollen neben Holleeder mehrere Unterweltgrößen gestanden haben. John Mieremet, Yvon Lodewijks und Dino Soerel stehen zur Debatte, aber auch Ali N., C. Özgür und Cleon D.
Doch in einem wankelmütigen Milieu werden aus Partnern schnell Feinde und so haben wohl Holleeder und Soerel gemeinsam die Ermordung Mieremets geplant. Dieser wurde dann im November 2005 in Thailand erschossen.
Die niederländische Zeitung "De Telegraaf" berichtete im Juli 2006, dass Holleeder und van Hout in den 1980ern sogar statt Freddy Heineken Prinz Bernhard aus dem Königshaus entführen wollten. Die mutmaßliche Quelle dieses Berichts, der Barbesitzer Thomas van der Bijl (Aussage bei der niederländischen Nationalpolizei), war im April 2006 in seiner Bar ermordet worden.
Nachdem diese Taten teilweise aufgedeckt werden konnten, wurde Willem Holleeder 2006 vor Gericht gestellt. Der Prozess galt als "Prozess des Jahrhunderts". Holleeders Anwalt, Bram Moszkowicz wurde ausgetauscht, weil er schon für Endstra tätig war. Ein anderer Anwalt, Bram Zeegers, der gegen Holleeder aussagte, starb an einer Überdosis Drogen.
Schließlich verbüßte Holleeder ab 2007 eine Haftstrafe im Gefängnis Niew Vosseveld und später De Schie. Gegen Ende 2007 musste er sich einer Herzoperation unterziehen. 2008 wurde er während der Haftzeit noch an dem Mord am ex-jugoslawischen Drogendealer Serge Miranovic 2006 verdächtigt.
Die neunjährige Haftstrafe Holleeders wurde aber wie frühere Strafen verkürzt und er kam schon im Januar 2012 vorzeitig wieder frei. Holleeder, der schon oft Polizei wie Unterwelt austricksen konnte, hielt sich jetzt für nahezu unangreifbar, gab lockere Interviews, nahm an der TV-Sendung College Tour teil und schrieb Zeitungskolumnen. Im September 2012 nahm er ein Album namens "Willem is terug (zurück)" mit dem Rapper Lange Frans auf und schrieb dann noch bis März 2013 eine Kolumne für die "Nieuwe Revu". Im Februar 2013 war Holleeder mitbegründer des Motorradclubs "No Surrender MC" und wurde dessen Vizepräsident in Amsterdam.
Der Verbrecher, dem immerhin Mord, Erpressung und andere schwere Delikte in hoher Zahl vorgeworfen wurden, wurde als "Knuffelcrimineel" verharmlost.
Doch solche Allüren führen auch zur Selbstüberschätzung und die Ermittlungsbehörden ließen diesmal nicht locker. Sie überwachten ihn genauer und nahmen ihn schon im Mai 2013 in einer großen Operation mit 450 Angehörigen von Polizei und Armee erneut fest. Es ging erneut um Erpressung und Mordverdacht. Eines der Opfer war Theo Huisman, ein Ex-Präsident des Amsterdamer Chapters der Hells Angels Holland. Schon im Juni 2013 wurde Holleeder wieder entlassen, aber die Polizei blieb an ihm dran.
Holleeder fuhr später wieder in U-Haft ein und beging diesmal einen großen Fehler, obwohl er in seiner jahrzehntelangen Karriere so gerissen war. Er sprach mit seiner Schwester Astrid über sein Leben und seine Taten und drohte ihr schwere Konsequenzen an, falls sie bei der Polizei gegen ihn auspacken würde. Dies ermutigte sie, diese Gespräche 2015 aufzeichnen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft war sehr erstaunt, was sie da zu hören bekam.
Holleeder wurde trotzdem wieder freigelassen und fuhr im April 2016 wieder ein. Jetzt bestand der Verdacht, dass er zwei Gangmitglieder der "Curaçao No Limit Soldiers" zu drei Morden anstiften wollte: An seiner Schwester Astrid, an seiner Schwester Sonja und am Zeugen und am Zeugen Peter R. de Vries. Die beiden Gangmitglieder bekamen kalte Füße und zogen später ihre Aussage zurück.
Doch Holleeder hatte selber schon im Gespräch mit seiner Schwester Astrid zuviel gesagt. Wenn man eine Bilanz ziehen will, kann man sagen, dass er in der Tat hinter einem Großteil der Morde an Unterweltgrößen stand, die über Jahre hinweg reihenweise ausgeschaltet wurden!
So konnte Holleeder im Juli 2019 nach einem langjährigen Prozess in "De Bonker" in Amsterdam zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden. Seine Proteste vor Gericht nützten ihm jetzt nichts mehr. Das Gericht hatte genug und folgte im Wesentlichen den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Holleeder war jetzt 61 Jahre alt.
Das Ergebnis wird im Folgenden dargestellt.
Holleeder wurde in fünf Mordfällen schuldig gesprochen:
- Sam Klepper: Hells-Angels-Biker, 2000 erschossen
- Cor van Hout: Komplize, 2003 erschossen
- Willem Endstra: Banker und Immobilienmakler, 2004 erschossen
- Kees Houtman: Drogendealer, 2006 erschossen
- Thomas van der Bijl: Barbesitzer und Freund der Familie, 2006 erschossen
Ferner in einem versuchten Mord:
- John Mieremet: Komplize von Sam Klepper, 2002 Mordversuch (2005 erschossen)
Ferner in einem Totschlag:
- Robert ter Haak: beim Angriff auf van Hout tödlich getroffen
Seine Schwester Astrid, die mit der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet hatte, fürchtet seitdem um ihr Leben und musste in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Eine ähnliche Furcht hat ihre Schwester Sonja.
Astrid, die es als einzige in ihrer Familie zu eine Jurastudium gebracht hatte, kommentierte die Geschehnisse damit, dass jetzt nicht nur ihr Bruder Willem, sondern auch sie lebenslänglich erhalten habe. Sie zeigte sich aber zufrieden, dass nun die fast endlose Serie seiner Gewalttaten vorbei sei und führte die Entwicklung ihres Bruders auf die Gewalt des Vaters und die extreme Kälte innerhalb der Familie zurück. Sie äußerte sich in Interviews und in einem 2016 erschienenen Buch (2018 auf Deutsch) zu dem Thema.
QUELLEN/LITERATUR:
Wikipedia
-
Astrid Holleeder: Judas. Een familiekroniek; Amsterdam (Lebowski) 2016;
bzw. auf Deutsch: Judas: Wie ich meinen Bruder verriet, um das Morden zu beenden. Eine wahre Geschichte; Köln (Kiepenheuer&Witsch) 2018.
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