JAHRESTHEMEN
2012 - Blog-System
2011 - Youtube, Amazon
2010 - Kriminologie, Guild Wars, Haustiere, tragbare Computer, Digitalphotographie
2009 - Sarah Silverman
2008 - Ägypten, Japan
2007 - Südfrankreich/Gallia Narbonensis
2006 - Fussball-WM, MMORPG mit Silkroad Online
2005 - Unreal Tournament
2004 - Kampfsport und Frauenringen
2003 - Neugruppierung der Internetpräsenz; Shooter: Counter-Strike & Quake
2002 - Räuberwesen (Francois Villon)
2001 - Wassermobilität (Schlauchboote), Ernst Jünger
2000 - Marxismus und Rationalismus
vorher - Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften (Soziologie, Psychologie, Politologie), Klassenanalyse, Psychoanalyse, Film, Altgriechisch, Ostasien, Technikphilosophie, Counter-Culture, Sinnesbiologie (Physiologie), Homepage, MUD, Warcraft
ÜBERBLICK (IM AUFBAU)
- Ausgangspunkt: Dualismus/Dialektik Materialismus-Idealismus (vgl. Philosophie)
- die Welteinteilung in Materie und Geist (Bewusstsein, Überbau) ist sinnvoll
- den Anforderungen der neuen Physik hält sie nicht stand, ist aber für das Alltagsleben praktikabel
- der materialistischen Weltdeutung ist der Vorzug zu geben; es gibt keinen völlig immateriellen Geist
- es gibt aber trotzdem einen Geist (Bewusstsein), er ist nur von der Materie abhängig
- von daher gibt es keinen Grund, wie es viele (zynische) Materialisten tun, die Geistidee zu verlachen
- die Beschäftigung mit dem eigenen Geist ist sehr wichtig;
dabei muss es zur geübten Bewusstseinserweiterung und -focussierung kommen;
das hat nichts mit esoterischer Spinnerei zu tun
- Geschichte
- Sprachwissenschaften
- Philosophie (als Protowissenschaft)
- Sozialwissenschaften (Soziologie, Psychologie, Politologie, Pädagogik)
- bedingt. Wirtschafts- und Rechtswissenschaften
- Biologie (spez. Humanbiologie)
- Individualismus-Kollektivismus (vgl. Soziologie)
- der Individualismus ist sehr wichtig, weil er die Kräfte des Individuums freisetzt, die häufig blockiert werd.
- damit ist kein Über-Individualismus gemeint, der so oft kritisiert wird
- der Mensch ist gruppenbezogen gebaut (kein atomistisches Individuum), er muss aber in der Gruppe frei sein
- auch der umstrittene Hedonismus kann in bestimmten Grenzen sinnvoll sein (positiv wirken),
eine extreme Triebunterdrückung führt nämlich zu Frustrationen oder Triebumleitung (Kreuzzüglertum)
- Top-Down und umgekehrt - sinnvolle Herrschaftsstrukturen
- Weltanschauungen
- Weltanschauungen sind oft, aber nicht immer irrational
- manchmal kann aber eine W. auch auf vereinfachten rationalen Strukturen beruhen
- viele Menschen übernehmen unreflektiert die W., die gerade an ihrem Ort vorherrscht;
z. B. Religionen (bsw. Christentum: siegt im 4. Jhd. militärisch und gilt plötzlich als zwangsläufig gegeben),
Nationalsozialismus (v. a. 33 - 45 'in', dann plötzlich 'out' -> seltsam),
Kommunismus (v. a. im Kalten Krieg mit seiner geteilten Welt)
- Religionskritik
- Kritik des Wissenschaftsbegriffs und der Wissenschaftspraxis
- die Methodik der Wissenschaft ist sehr interessant, weil sie die Erkenntnis fördert
- der Prozess der Findung dieser Methodik ist aber noch längst nicht abgeschlossen (Streit)
- in der Wissenschaftspraxis ist dagegen der W.begriff oft nur eine Adelung, die manipulierend wirkt
- die praktische, institutionalisierte Wissenschaft basiert dagegen meist auf Gruppenzwang, Irrationalismus, Dogmatismus und Willkür;
das beste Beispiel sind Denkschulen, Ausschlussversuche (Exklusionen) missliebiger Wissenschaftler,
religiöse Tendenzen von Wissenschaftlern, die es besser wissen sollten und politische und wirtschaftliche Inanspruchnahme von Wissenschaft
- Rationalismus, Aufklärung und die Grenzen
- Vor- und Nachteile der 68er-Bewegung und das Anti-Bürgerlich-Sein, Links und Rechts
- Bildung:
- im öffentlichen Diskurs wird immer gesagt "Bildung ist unser wichtigstes Kapital",
dabei ist gar nicht jede Art von Bildung Kapital - Erfahrungen zeigen, dass viele mittelmässige, aber egostarke Schüler später erfolgreich sind;
das heisst aber nicht im Umkehrschluss, dass jeder entsprechende Schüler automatisch erfolgreich w. - es wird manchmal im Diskurs darüber diskutiert, ob in der Bildung Leistung wichtig sei;
das ist aber gar nicht der Punkt: wichtig ist, dass - wenn Leistung verlangt wird - sie von möglichst allen Beteiligen erbracht wird; d. h., auch Eltern und Lehrer sollten sich Schulprüfungen stellen
(das gäbe aber ein böses Erwachen) - man sollte sich genau fragen: Wieso gehe ich zur Schule? (Bewusstmachung)
Pflichterfüllung, Interesse, Berufsreife, kritisches Denken, ...
- berühmte Denker: Buddha, Feuerbach, LaMettrie, Sokrates, Stirner
- von der richtigen Verwendung der Phantasie
- wirtschaftsliberale Täuschungen
- Einkommensungleichheit
BEWERTUNG DES INDIVIDUALISMUS
Moderne Gesellschaften werden oft als individualistisch bezeichnet. Das wird mal als fortschrittlich und mal als zersetzend bezeichnet.
Der Individualismus ist richtig verstanden eine sehr wichtige Errungenschaft. Sie musste lange und mühsam errungen werden.
Es ist dabei davon auszugehen, dass der Mensch als Individuum Zwängen durch seine multiplen Gruppenzugehörigkeiten unterworfen ist, die seine naturmögliche Entwicklung und Entfaltung hemmen.
Man sollte Individualismus aber nicht so auslegen, dass man jedes Eingebundensein in Gruppen und jede Gruppenverantwortung leugnet. Das wäre ein atomistischer Individualismus.
Die Gesellschaft funktioniert aber grob betrachtet wie ein Räderwerk, in dem die Zahnräder ineinander greifen müssen. Nur leider führt diese soziale Rollenverteilung mit ihren Rollenerwartungen dazu, dass die Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums deutlich unterdrückt werden.
Will man diese Erkenntnisse praktisch umsetzen, dann muss man feststellen, dass man erstens in einem freiheitlich verfassten Land leben und zweitens über ausreichend Geld verfügen muss, um diese Freiheitsrechte auch durchzusetzen. Das heisst noch konkreter, dass ich überall wo ich lebe, also in allen sozialen Gruppen, auf meine individuelle Freiheit so gut es geht achten muss. Ich darf in der Familie nicht abhängig sein und im Beruf auch nicht. Zumindest nicht über Gebühr, denn geringe Abhängigkeiten sind unvermeidbar. Gerade im Beruf ist eine gewisse Hierarchie nicht vermeidbar. Auch bei meinen Freizeitaktivitäten muss ich Abhängigkeiten zu verhindern suchen.
Das heisst aber nicht, dass ich nun freischwebend "irrlichtern" sollte. Man sollte sich weise Mitmenschen als "Coach" nehmen, nicht aber als über einem stehender "Lehrer"! Interessanterweise findet man auch in der Populärkultur diesen Gedanken mit Coach und Lehrer (gleichrangig vs. höherrangig; vgl. Nora Tschirner).
PROTESTBEWEGUNGEN GEGEN DAS BÜRGERLICHE
Ideologische Fronten im Kalten Krieg ("cleavages")
Wenn man noch den Kalten Krieg miterlebt hat, dann stellt man fest, dass es neben der grossen (globalen) Auseinandersetzung zwischen dem LIBERALISMUS ("WESTEN"/DEMOKRATIE/KAPITALISMUS) und dem KOMMUNISMUS noch mindestens eine andere Auseinandersetzung gab, nämlich die zwischen Jugendlichen und später Erwachsenen, die durch die Protestbewegungen der 60er-Jahre beeinflusst wurden und den "anderen".
Auf dem ideologischen Spektrum waren diese Protestbewegungen links angesiedelt, man sprach geistesgeschichtlich auch von der Neuen Linken. Man kann aber trotz einiger Anleihen bei kommunistischer Symbolik nicht sagen, dass diese Bewegungen alle mit den Sowjetsystemen in Moskau, Peking und anderswo konform waren. In den staatskommunistischen Ländern herrschte ein autoritärer orthodoxer Marxismus vor. Einige linksradikale Gruppen arbeiteten zwar mit Ländern des Ostblocks zusammen, wurden aber von diesen im Prinzip verachtet und instrumentalisiert.
Der Protest ging v. a. von den USA aus, also einem "Kernland oder Zentrum des Imperialismus" und er erfasste viele Industrieländer inklusive Japan (was vielen in Europa und den USA nicht bekannt ist). Anfangs war ein Bewegungsmoment der Einsatz für Bürgerrechte der Schwarzen, dann ging es gegen den Vietnamkrieg und schliesslich kämpfte man für diverse Gruppen, die man für unterdrückt hielt wie Frauen, Indianer, sexuelle Minderheiten usw.
Der Protest war entsprechend äusserst vielfältig: Neben linksliberalen Bürgerrechtlern gab es linksradikale Aktivisten, neben Intellektuellen gab es Anhänger einer hedonistischen Protestkultur ("Spassguerilla") usw. Die Hippies von Haight Ashbury in San Francisco waren in ihren Zielen mit studentischen Gruppen wie dem SDS nicht immer deckungsgleich. Später entwickelten sich grüne Bewegungen, autonome Bewegungen und ähnliches, aber auch diverse oft skurile esoterische Spielarten und Kulte. Man kann schon sagen, dass dieser Bewegung neben progressiven Ansätzen auch eine gehörige Portion Irrationalismus innewohnte.
Gleichzeitig wurde diese Protestkultur aber auch vom Kapitalismus instrumentalisiert. Seine Symbole, seine Musik, seine Kleidung usw. wurden vermarktet. Gleichzeitig wurde die Kerngesellschaft ("Mainstream") toleranter gegenüber abweichenden Moden und die Protestler ihrerseits wurden oft mit wachsendem Alter angepasster und konservativer ("sie dunkelten politisch nach").
Der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass sich eine Protestkultur längst nicht nur oder überhaupt nicht auf die Ideen der 60er-Jahre stützen muss. Sie soll aber hier im Vordergrund stehen. Diese Auswahl geschieht einmal aufgrund der notwendigen Eingrenzung des Stoffbereiches, der relativen zeitlichen Nähe der 60er-Jahre und der Stärke der damaligen Protestbewegungen.
Es gab in der Geschichte immer wieder Protestkulturen und selbst im 20. Jhd. waren Themen wie Jugendbewegung, Frauenbewegung usw. keine Seltenheit und es kamen immer wieder entsprechende Bewegungen auf. Man nehme nur den Wandervogel oder die erste Welle des Feminismus. Hinzuzufügen ist auch, dass es durchaus starke antibürgerliche Protestbewegungen von Rechts gab. Die Begeisterung vieler Jugendlicher an der Teilnahme in den Weltkriegen lässt sich auch als Fluchtimpuls aus den bürgerlichen Institutionen Schule und Elternhaus verstehen. Faschistische und nationalsozialistische Bewegungen verstanden sich ja auch als revolutionär, wobei umstritten ist, ob und inwiefern sie das waren.
Es ist nun nicht unsere Aufgabe hier, die Zeiten nostalgisch zu feiern, in denen Flaggen mit Revolutionshelden wie Mao geschwenkt wurden, zumal eine andere Ikone der Revolution, Che Guevara, schon längst zum Posterkommunisten verkommen sind. Selbst sog. It-Girls wie Paris Hilton haben sein Konterfei schon auf T-Shirts getragen, zu Recht kommentiert von Julie Delpy mit dem Satz "weisst du nicht, dass er dich getötet hätte?".
Es ist aber schon interessant, zu fragen, ob diese etwas chaotischen und utopistischen Protestbewegungen zumindest in einigen Punkten Recht hatten bzw. zumindest Schwächen in der bürgerlichen Gesellschaft aufgezeigt haben. Denn aufgrund einiger Systemkrisen stellt sich immer einmal wieder die Frage, wie das Gesellschaftssystem aufgebaut ist und wie es weitergehen soll.
Die 68er und der Bürger
Seit die 68er-Bewegung den Bürger und das Bürgerliche zum Feind (neu)erkoren hat, tobt ein Kampf um das Positive und Negative dieser Bewegung. Tendenziell überwiegt dabei eine negative Bewertung.
Wir stehen nun selber dieser Bewegung kritisch gegenüber, man darf aber nicht übersehen, dass sie gerade in der Kritik des Bürgerlichen auch einige positive Punkte angebracht haben. Problematisch ist nur, dass es ihnen nicht gelungen ist, das Positive wie das Negative des Bürgers und des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu beschreiben, dass sie kaum Alternativen zur bürgerlichen Lebensweise entwickelt haben - zumindest jenseits kurzlebiger Aussteigerphantasien, dass sie zu einem Negativismus neigten, also das Bestehende abgelehnt bis angegriffen haben, anstatt es besser zu machen und schliesslich dass sie selber irgendwann zur bürgerlichen Lebensweise zurückgekehrt sind. Die meisten 68er waren ja Bürgerkinder.
Bevor man also die 68er reflexartig angreift, muss man fragen, wie sie das Bürgerliche analysiert haben.
Hierbei sollte man auch die Kritikpunkte von Nicht-68er an den Bürgerlichen miteinbeziehen.
Der Charakter (Geist und Moral) des Bürgers und seine Doppelmoral
1. Materialismus (Materie, Ökonomie)
Ein Hauptvorwurf der 68er an den Bürger ist sein (ökonomischer) Materialismus.
Die Charakterisierung des Bürgers als materialistisch ist sicher im Kern richtig. Trotzdem ist das ein problematischer Vorwurf.
Denn das Materielle ist die Grundlage des Lebens (der Existenz). Das Materielle, ausgedrückt in der modernen menschlichen Gesellschaft, ist auch die Grundlage seiner Freiheit.
Hätte/hat man so viel Geld auf dem Konto, dass man nicht mehr zu arbeiten braucht, dann wäre man in einem liberaldemokratischen System frei. Zur Freiheit gehören nämlich einmal politische Freiheiten und zweitens wirtschaftliche Freiheiten. Ohne das Zweite ist die liberale Demokratie eine Farce, eine leere Hülle.
Wenn man also dem Bürger seinen Materialismus vorwirft, so ist der Vorwurf nicht per se richtig. Trotzdem zeigt der Bürger auch viele negativ-materialistische Züge ("falscher Materialismus").
Der übersteigerte Materialismus führt oft so weit, dass der Bürger von seiner Fixierung auf das Materielle (Gier) regelrecht aufgefressen wird. Er ist damit ja auf etwas Totes bzw. Nicht-Lebendes fixiert. Erich Fromm sprach in einem solchen Fall von einem "nekrophilen Charakter".
Das bedeutet, dass unter dem fast pathologischen Materialismus die sozialen Beziehungen des Bürgers leiden. Er wird unfrei!
Es kann z. B. sein, dass der (männliche) Bürger aus Materialismus seine Frau schlecht behandelt, was zu Depressionen und in der folge z. B. zu Alkohol- und Drogenmissbrauch führen kann. Er kann auch seine eigenen Kinder schlecht behandeln und aus Zynismus sogar noch so tun, als liebte er sie.
Bürger drängen ihre Kinder z. B. oft dazu, schulischen Ehrgeiz an den Tag zu legen, um später berufliche höhere Ränge zu bekleiden. Eine gewisse utilitaristische Planung in dieser Richtung muss gar nicht einmal so schlecht sein.
Übertreibt man es aber, kann das dazu führen, dass die Bildung an sich pervertiert wird. Der Bürger ist oft eigentlich gar nicht an der Bildung interessiert. Er instrumentalisiert sie nur - sie wird Mittel zum Zweck. Man müsste daher Bildung neu definieren und klarstellen: Dieser Teil der Bildung ist offiziell zum Gelderwerb und karrieristischen Vorankommen gedacht und jener Teil ist ganz offiziell davor geschützt.
Genauso, wie der Bürger seine Frau und seine Kinder aufgrund seines falschen Materialismus' schlecht oder falsch behandelt (oder beide Eltern die Kinder), so tut er es auch mit anderen Menschen in seinem sozialen Netzwerk: Er sucht sie nach materialistischen Nützlichkeitserwägungen aus, d. h. er instrumentalisiert und missbraucht sie.
Auch wenn das etwas nach naivem Romantizismus klingt: Der Mensch steht beim Bürger nicht mehr im Mittelpunkt! (Wir sind aber keineswegs naiv und fordern keine Abkehr vom Materialismus, sondern wir fordern nur, bestimmte Bereiche zu definieren, die nacht - im ökonomischen Sinne - materialistisch sind.)
Der Materialismus ist aber nicht das einzige Kennzeichen des Bürgers. Andere Charaktereigenschaften des Bürgers hängen aber damit zusammen.
2. Ideologie (Geist, Kultur)
Der Bürger hat z. B. eine hohe Neigung zur Ideologie, i. e. zur ideologischen Indoktrination. Das bedeutet z. B., dass zur Religiosität neigt, er neigt aber auch zur sog. höheren Kultur.
Das ist ein scheinbarer Widerspruch zu seinem Primat des Materialismus. Die Ideologie hat aber die Funktion, dass der Bürger sich einreden kann, nach etwas Höherem, Geistigen zu streben und nicht nur nach "schnödem Mammon".
Die konkrete Wirksamkeit solchen Strebens ist aber fragwürdig:
Wenn der Bürger z. B. Christ ist, dann müsste er ja sein Handeln darauf ausrichten, die Wiederkunft Jesu Christi zu erwarten. Es gibt aber kaum noch Bürger, die das wirklich tun bzw. Vorbereitungen darauf erkennen lassen. Wenn man die Bibel als sog. Heilige Schrift genau studieren und ernstnehmen würde, würden sich daraus konkrete Handlungsmaximen ergeben. Die befolgt aber kaum ein Bürger.
Hätte er z. B. Angst, ständig von einem allmächtigen Gott beobachtet zu werden und sich später für seine Taten rechtfertigen zu müssen, dann dürfte er ja keine illegalen Handlungen begehen.
Problematisch ist auch die Neigung des Bürgers zur Hochkultur. Diese kann sich daran äussern, dass er z. B. klassische Musik verehrt und vielleicht seine Kinder zwingt, ein Instrument zu lernen. Es kann aber auch sein, dass er seine Kinder zwingt, Latein oder sogar Altgriechisch zu lernen. Tendenzen in diese Richtung haben zwar abgenommen, halten sich aber immer noch in einigen "Widerstandsnestern" oder schaffen es sogar zu einer begrenzten Renaissance.
Die meisten Bürger haben ja nicht wirklich die Lust, sich mit Hochkultur zu beschäftigen. Nur wenige kennen sich bei den Werken von Mozart, Hayden oder Beethoven wirklich aus. Und kaum einer studiert wirklich Cicero, Caesar oder Vergil, vertieft sich in die Lateinische Grammatik oder betreibt sogar philologische Forschungen. Wäre das so, könnte man den Habitus der Bürger ja sogar achten.
In Wirklichkeit will sich der Bürger nur einreden, etwas Höheres zu sein. Er will sich auch vom Proletarier abgrenzen, v. a. in Zeiten, die ökonomisch schwieriger und risikoreicher sind.
In der Philosophie findet man dazu wichtige Passagen bei Nietzsche, Althusser und Foucault. Althusser prägte z. B. die Begriffe von den ISA (Ideologische Staatsapparate) und den RSA (Repressive Staatsapparate). Althusser meinte mit ISA Indoktrinierungsinstanzen wie z. B. Familie, Schule oder Kirche, die den Menschen dazu bringen, sich freiwillig den herrschenden Machtstrukturen (System) unterzuordnen. Mit RSA meinte er Unterdrückungsinstanzen wie Polizei und Militär, die den Menschen gegebenenfalls zwingen, sich den herrschenden Machtstrukturen anzupassen. Das führt uns zum nächsten Punkt.
3. Repression
Der Bürger mag die Repression. Das rührt v. a. daher, dass er selber unfrei ist.
Er verherrlicht die Unfreiheit und zwingt sie deshalb anderen auf. Er kann nicht gerne zusehen, wie andere frei sind, weil sich dann die freiheitsliebenden Bestandteile seiner Psyche zu laut regen.
Die Repression bedeutet, dass man sich und anderen einen Kanon von Geboten und Verboten auferlegt.
Sie bedeutet aber auch, dass man Gruppen, die sich nicht an diese Gebote und Verbote halten, als Feindbilder aufbaut.
Der Aufbau von Feindbilder kann auch einfach nur der Abgrenzung von anderen und damit der Stärkung der eigenen Identität dienen.
Diese Feindbilder können sein: Kriminelle, sexuell Deviante, Juden, Kommunisten, Ausländer uvm.
Der Charakter des Linken und seine Doppelmoral
Bei einer kritischen Analyse des bürgerlichen Charakters muss auch sein (angeblicher) Gegenspieler, der Linke, einer kritischen Analyse unterzogen werden. Gemeint ist hier der Linke im volkstümlichen Sinne, also der Protest-Linke und nicht der systemtreue Linke aus staatskommunistischen Ländern.
Eine interessante Analyse des linken Denkens findent man ausgerechnet im Manifest von Ted Kaczynski, dem mutmasslichen UNA-Bomber. Kaczynski trifft zwar einige Kernpunkte, übertreibt aber auch gelegentlich. Möglicherweise hatte er als Mathematikprofessor in Berkeley Ende der 60er-Jahre auch unangenehme Kontakte mit Linken.
Exkurs: Die Crux des Materialismus (Segen und Fluch)
Es ist interessant und wir fanden es schon in der Schule interessant, dass sich viele Menschen gerne gegen Materialismus (im Sinne von Ökonomismus und Konsumismus) aussprechen. Sie tun das sogar mit einer erstaunlichen Deutlichkeit. Moralisierende Deutschaufsätze sind dafür ein gutes Beispiel.
Mit Materialismus ist in diesem Fall der der "Populärmaterialismus", also Ökonomismus usw. gemeint, denn in der Philosophie kann Materialismus noch etwas anderes meinen, nämlich dass die materielle Grundlage/Basis, z. B. als Biologie oder eben Ökonomie, bestimmend ist und nicht der Geist bzw. die Ideologie.
Diese Kritik am Materialismus ist schon einmal deshalb erstaunlich, weil viele Dinge nur dann funktionieren, wenn genügend Kapital oder entsprechende materielle Güter vorhanden sind.
Zweitens verwundert sie auch deshalb, weil viele Menschen, die lautstark den Materialismus kritisieren, selber reich sind. Man denke in Deutschland an die Partei/Bewegung der Grünen, besonders in der Anfangsphase. In den Sozialwissenschaften nennt man die Kritiker des Materialismus Postmaterialisten und Forscher wie Ronald Inglehart haben herausgefunden, dass diese meistens wohlhabend sind und damit viele Vorurteile der Kritiker der Postmaterialisten bestätigt.
Ein dritter Punkt ist, dass sich gerade viele Lehrer weigern, dem materialistischen Druck auf den Bildungssektor nachzugeben: So wichtig es auch ist, sich nicht von der Ökonomie erpressen und terrorisieren zu lassen, so wichtig ist es doch, dass Schüler berufsfähig werden. Es hat keinen Sinn, wenn Lehrer, die selber meistens finanziell abgesichert sind, ihren Schüler die Gelegenheit vorenthalten, dasselbe zu tun. Hinter diesem scheinbar ehrenhaften Widerstand gegen ökonomischen Druck und Diktatur steht auch oft nur die Weigerung, etwas dazuzulernen oder bei der Verfolgung der eigenen Fachinteressen und Hobbies Abstriche zu machen. Dasselbe oder Ähnliches gilt für die Wissenschaftslandschaft.
Unsere Position ist schon allein daher nicht anti- oder post-materialistisch.
Es gibt aber trotzdem einige Punkte, in denen die Kritiker des Materialismus recht haben:
1. Ein übertriebener Materialismus führt dazu, dass der materialistische Mensch ein Getriebener wird. Er wird vom (selbstbestimmt handelnden) Subjekt zum Objekt äusserer materieller Zwänge und Reize.
2. Ein Wirtschaftssystem, dass von Kapital (Kapitalerwerb) und Wettbewerb gesteuert ist, neigt zur Eskalation. Das sieht man einmal darin, dass das System durch Kapitalkonzentration zu Instabilitäten und Ungleichgewichten neigt und zweitens darin, dass es zur Beschleunigung neigt. Und man kann kein System endlos beschleunigen bzw. kein System kann sich endlos beschleunigen.
3. Ein entsprechendes Wirtschaftssystem führt zu körperlichen und geistigen Leiden. Körperliche Leiden können Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein, geistig-seelische sind z. B. Depression oder Hypernervosität.
Das ist insofern erstaunlich, da das System - wir sehen es ja nicht nur als schlecht an - an sich in der Lage ist, alle Menschen zu ernähren und ihnen darüber hinaus ein von der Güterversorgung her betrachtet einigermassen komfortables Leben zu ermöglichen. Vor dem historischen Betrachtungshintergrund ist das eine riesengrosse Leistung!
4. Das immer stärkere Übergreifen des Materiellen in Geist und Psyche führt zu einer Verdrängung von Bewusstseinsinhalten, die nicht dem materiellen Gewinnstreben dienen. Dazu gehört Kunst, Literatur, Musik, nicht materiell verwertbare Sprachen und generell zweckungebundene Wissenschaft. Das führt generell zu einer Verarmung der Geisteslandschaft.
Auch das muss natürlich nicht nur negativ sein. Früher hat man in bürgerlichen Kreisen Kinder zu unproduktiven Fächern wie Altsprachen und (klassischer) Musik gezwungen. Viele sind froh, dass diese Tendenzen auf den Rückzug gebracht wurden. Verantwortlich dafür sind nicht allein die vielgeschmähten 68er, sondern auch der Kalte Krieg (die Sowjetunion hat die Ingenieurwissenschaften gefördert und damit im Westen den Druck auf die Lateinpflicht erhöht) und jetzt der siegreiche Kapitalismus.
Andererseits kommen diese umstrittenen Fächer manchmal über einen Umweg wieder: Bürgerliche Eltern zwingen heute bisweilen wieder ihre Kinder, diese ökonomisch unproduktiven Fächer zu betreiben.
Sie bringen zwar an sich materiell nichts, dienen aber dazu, sich durch "bildungsbürgerliche Attitüden" sozial nach unten abzugrenzen.
Durch diese Zwecksetzung wird aber der wirkliche Charakter der Erziehungsmassnahme klar: Es geht nicht um Bildung, sondern um soziale Machtpolitik!
Wenn man die früheren geistigen Tätigkeitsbereiche jedoch als geistigen Gewinn begreift, dann führt der materialistische Druck auf die Bildungslandschaft zur Verarmung.
KRITIK DES WIRTSCHAFTSLIBERALISMUS
Obwohl wir uns nicht zu einer generellen Kritik am Materialismus entscheiden konnten, müssen wir uns dennoch gegen den besonders seit dem Ende des Kalten Krieges grassierenden Wirtschaftsliberalismus (sog. Neoliberalismus) klar wenden. In Deutschland wird diese Linie durch die FDP vertreten, in den USA durch die Republikanische Partei, die natürlich wesentlich stärker sind.
Es geht nicht darum, dem freien Markt jede Leistungsfähigkeit abzusprechen, oder ein Zurück zur sozialistischen Planwirtschaft zu wollen - damit werden Kritiker nämlich gerne mundtot gemacht.
Es geht darum, zum einen die deutlichen Schwächen eines solchen Systems zu erkennen und zum anderen die Doppelmoral seiner Verteidiger zu durchschauen.
Letzteres ist besonders interessant:
Die Verteidiger des Wirtschaftsliberalismus predigen zwar "mehr Markt - weniger Staat!" und "mehr Risikobereitschaft!", halten sich aber gerade nicht an diese Prämissen.
Viele Politiker und Wirtschaftsprofessoren, die diese Linie verfolgen leben selber oder selber auch vom Staat. Und viele Wirtschaftsführer verfügen über soviel Geld, dass ihnen die negativen Seiten des Marktes nichts anhaben können und ihnen ein weitgehend risikoloses Leben ermöglicht wird.
Ausserdem will niemand von diesen Ideologen wirklich "weniger Staat". Man muss generell aufpassen, wenn Bürgerliche weniger Staat forden. In Wirklichkeit wollen sie nämlich nur den Sozialstaat oder genauer gesagt einige Bereiche des Sozialstaates kürzen und nicht etwa den Sicherheitsstaat.
In Deutschland hat noch nie ein Kabinett mit FDP-Beteiligung nennenswert die Steuern gesenkt. Von den FDP-Politikern hat auch noch keiner auf sein Staatsgehalt verzichtet, geschweige denn die Partei selbst. Auch sind Kriege (Akteure hauptsächlich staatlich!) wie der Afghanistankrieg durch die FDP nicht verhindert worden.
BILDUNG UND FAMILIE
Heute macht man sich viele Gedanken zum Thema Bildung. Viele Politiker vertreten dabei die These, dass Bildung in der Schule stattfinden sollte und wollen dafür den Einfluss der Schule ausdehnen.
Damit sagen sie allerdings dass die Familien, also ihre Wähler, intellektuell unzulänglich sind.
Das ist schon eine interessante Position.
Ob die Schule als Bildungsinstitution besonders geeignet ist, sei auch einmal kritisch hinterfragt. Schliesslich bieten viele allgemeinbildende Schulen so gut wie keine berufliche Bildung. Was soll der Schüler dann nachher werden? Lehrer? In die Wissenschaft gehen?
Die Bestehen von Prüfungen an allgemeinbildenden Schulen hat (neben der Allgemeinbildung) immerhin den Wert, dass "es weitergeht".
Warum sind aber Familien so ungeeignet für die Bildung? Viele Eltern setzen doch ihre Kinder unter Druck, sich in der Schule und ggf. in Vereinen Mühe zu geben.
Das ist eine interessante Frage, über die man aber erst einmal nachdenken muss. Wenn man direkt in eine Familie hineinschaut, fällt einem auf, dass sich die Menschen häufig über triviale Dinge unterhalten und auch gerne streiten.
Menschen haben oft kein anderes Thema, als die Frage, wie heiss das Essen sein soll oder ob man Senf oder Ketchup oder Mayonaise dazu nimmt. Auch streiten sie sich über die Lage von Zahnpastatuben oder Taschenlampen. Ein beliebtes Thema ist die Frage, ob eine gewisse Tür auf oder zu sein soll.
Bei solch einem "Setting" nimmt es nicht Wunder, dass man nicht auf höhrere Themen wie mathematische Gleichungen, Integrale, Naturwissenschaften, Fremdsprachen oder Weltliteratur kommt. Auch eine genaue politische Analyse ist nicht möglich.
Es ist erstaunlich, dass Menschen solche offensichtlichen Missverhältnisse nicht durchschauen. Es macht ihnen keiner den Vorwurf, dass sie keine Integrale lösen können, aber es ist unverständlich, dass sie nicht einmal einen Lösungsansatz für ihre Probleme sehen und entwickeln können.
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